Neues Geld und alte Hegemonien

■ Die AL lud zur Anhörung über Reformprojekte im Hochschulbereich / Wie kann verhindert werden, daß die zusätzlichen Millionen aus dem Landeshaushalt in den alten „Kanälen der Beharrung“ versanden?

Wie lassen sich Reformmaßnahmen an den Hochschulen organisatorisch, finanziell und rechtlich verankern? Wie kann Interdisziplinarität in Lehre und Forschung institutionalisiert werden? Mit diesem und einem ganzen Katalog weiterer Fragen beschäftigte sich eine Anhörung, zu der die AL am Freitag nachmittag ins Rathaus Schöneberg eingeladen hatte. Die Aufforderung der wissenschaftspolitischen Sprecherin der AL, Hilde Schramm, an alle hochschulpolitisch engangierten Menschen, mit Vorschlägen dazu beizutragen, daß die Verbesserung der Studien- und Lehrsituation „keine Absichtserklärung“ bleibt, stieß auf starke Resonanz. Der Sitzungssaal, in dem üblicherweise der Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses tagt, quoll aus allen Nähten, und die frontale Stuhlordnung wich schnell dem plenaren Rund einer Vollversammlung.

Das zentrale Problem, um das die vierstündige Diskussion immer wieder kreiste, war schnell ausgemacht: Zwar hatten sich AL und SPD in den Koalitionsvereinbarungen einem stattlichen Reformpaket verpflichtet. Doch, so wurde allenthalben beklagt, treffe die neue Politik, die wesentliche Forderungen aus dem Streik aufgenommen habe, überwiegend auf alte hegemoniale Strukturen in den Fachbereichen. Diese seien geprägt von acht Jahren konservativer Hochschulpolitik, in denen die inneruniversitäre Demokratie zurückgeschraubt und die Restauration der Professorenuniversität betrieben worden sei. Es bestehe die Gefahr, so der studentische FU -Personalrat Andreas Müller, daß die in den Koalitionsvereinbarungen ausgehandelten zusätzlichen Mittel für die Berliner Hochschulen - ab 1990 jährlich 90 Millionen Mark - überwiegend in die „sattsam bekannten Kanäle der Beharrung“ versickerten, anstatt neuen Projekten zugute zu kommen.

Nach Aussage des Leiters der ständigen Kommission „Lehre an der TU“, Wagemann, sei man in der TV-Leitung durchaus gewillt, die autonomen Seminare materiell zu unterstützen und die Projektwerkstätten weiter zu fördern. Diskutiert werde auch, wie man das Instrument von Modellstudiengängen und Modellversuchen stärker nutzen könne, um Flexibilität für Experimente zu gewinnen. Erfahrungsgemäß betätigten sich jedoch die Fachbereichsräte als „Bremser“, wenn es um innovative Neuerungen ginge.

„Seitdem die Blockade unseres Instituts aufgehoben wurde, werfen uns die Profs Steine in den Weg, wo sie auch nur können“, beklagte sich auch ein Student des Technischen Umweltschutzes. Um zu verhindern, daß zusätzliche Gelder jetzt nicht bei Professoren „versanden“, die unter Umweltschutz nur „End-of-Pipe-Technologien“ verstünden, forderten die Studenten Mittel für eine „Professoren -unabhängige Forschung“, wenn nötig „auch mal an den Fachbereichen vorbei“.

Was an der TU als vorerst theoretische Gefahr diskutiert wird, droht an der FU bereits als reales Problem: Mit 600.000 Mark sollen 50 Tutorien finanziert werden, die ausdrücklich nicht zur Unterstützung des herkömmlichen Lehrangebots, sondern projektbezogen durch eine Kommission des Akademischen Senats vergeben werden sollen. Für die Antragstellung, die bis zum 12. Juni erfolgen muß, reichen fünf Unterschriften. Unter dem Dach der Hochschulautonomie, unter dem die alten FU-Seilschaften weiterlebten, waren „Strohstudenten von ihren Profs vorgeschickt worden, um diese Mittel anzuzapfen“, kritisierte Andreas Müller die mögliche Zweckentfremdung der Gelder.

Solange das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) noch nicht geändert sei, müßten daher dringend „Parallelstrukturen“ zu den Fachbereichen aufgebaut werden, forderten neben dem FU -Personalratsmitglied auch Hilde Schramm und der Faschismusforscher Wolfgang Wippermann. Sie schlugen vor, die alten „Interdisziplinären Arbeitsgruppen“ (IAGs), wie sie noch das erste BerlHG von 1969 vorgesehen hatte, wiederzubeleben. Die Idee: Locker an die Fachbereiche angegliedert, doch mit gleichem Stimmrecht für alle AG -Mitglieder und finanziell unabhängig, arbeiten Universitätsangehörige und kompetente Menschen von außerhalb miteinander an einem Thema.

Schramm plädierte außerdem für eine Vergabe von Forschungsgeldern auch nach getrennten Töpfen, „zu denen nur die Studenten oder nur die Mittelbauer usw. Zugang haben“. Sie traf damit den Nerv der meisten anwesenden Studenten, die wiederholt forderten: „Wir brauchen auch eigene Bereiche, in denen es Professoren schlicht nicht gibt.“

FU-Vizepräsident Hübner bekundete offenes Mißtrauen gegenüber seiner eigenen Universität, indem er die Frage aufwarf, ob es überhaupt sinnvoll sei, alle Mittel aus dem 90-Mio.-Programm über die Hochschulgremien zu verteilen. Hübners Vorschlag, jetzt einen Verteilungsmechanismus zu institutionalisieren, der die zu erwartenden Gelder erst einmal sichere, jedoch genügend Zeit für die sorgfältige Ausarbeitung guter Projekte lasse, fand großen Anklang. Wie auch immer, Eile tut not, da der Haushalt 1990 jetzt aufgestellt wird.

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