Iran: Kampf um die Macht

■ Schon länger wird an der Nach-Khomeini-Ära gebastelt / Wird es eine kollektive Führung geben?

Beim Machtkampf hinter den Kulissen war der Tod des Ayatollah noch nicht vorgesehen. Khomeini selbst hatte den untereinander zerstrittenen Spitzenpolitikern die Aufgabe gesetzt, seine Nachfolge neu zu regeln. Bis Ende des Monats sollte eine 25köpfige Arbeitsgruppe, der Vertreter aller Fraktionen angehören, die Verfassung bearbeiten. Parlamentspräsident Rafsandschani, der am 14. August zum Staatspräsidenten gewählt werden wird, hat bereits eine entscheidende Stärkung des Präsidentenamtes durchgesetzt. Wahrscheinlich wird es künftig sogar keinen Ministerpräsidenten mehr geben. Rafsandschani könnte dann die Regierungspolitik allein bestimmen. Damit wäre der Besitzer großer Pistazienhaine im Süden Irans in der Lage, sein Konzept der Privatisierung von Staatsbetrieben, der Stärkung der Privatwirtschaft und der Rückdrängung staatlicher Eingriffe in die Wirtschaftspolitik zu realisieren.

Fraktionen

Teil zwei des Projektes „Neue Machtverteilung“ ist die Khomeini-Nachfolge selbst. Die allen Gewalten übergeordnete Position des Revolutionsführers war in den Monaten nach dem Schahsturz in bereits vorliegende Verfassungsentwürfe eingefügt worden, um Khomeini unumschränkte Herrschaft zu übertragen und diese langfristig abzusichern. Khomeini hatte diese Machtposition genutzt, um seine rigorose Islamisierungspolitik durchzusetzen. Gleichzeitig hatte er jedoch bei Auseinandersetzungen unter seinen Anhängern die Weichen immer so gestellt, daß keine der Fraktionen einen entscheidenden Machtvorteil erringen konnte. Damit garantiert er den Gruppierungen auch künftigen Bestand, was ihm als Gegenleistung zusätzliche Loyalität der konkurrierenden Lager sicherte. Diese Herrschaftsstruktur verhinderte, daß zentrale Fragen der iranischen Politik entschieden wurden. So zeichnete sich eine schleichende Abschaffung des Amtes der höchsten religiösen Autorität ab.

Eine solche Änderung war im Interesse der mittelalten Hojatoleslams, die damit unter Umgehung noch lebender Großayatollahs Khomeini beerben wollten. Generalstaatsanwalt Hojatoleslam Khoeiniha, der im November 1979 die Besetzung der US-Botschaft entscheidend mitprägte, erklärte Ende April offen, daß Geistliche aus der mittleren Hierarchie des Klerus nach Khomeinis Tod die politischen Geschicke des Landes entscheiden sollten. In Fragen persönlicher religiöser Probleme könne sich jeder Iraner sein persönlich religiöses Vorbild suchen. Der Plan war deutlich, in der veränderten Verfassung sollte es für den Fall des Todes von Khomeini eine kollektive politische Führung geben. Der Fraktionismus wäre auf die höchste Ebene des Staates verlagert.

Gute Karten für Rafsandschani

Khomeinis Tod hat nun diesen Prozeß erschwert. Die Expertenversammlung, die extra gewählt worden war, um die Khomeini-Nachfolge zu regeln, ist bereits zusammengerufen worden. Wahrscheinlich wird das Gremium eine Führungsgruppe bestimmen. Nach der noch gültigen Verfassung müßten unbestrittene religiöse Autoritäten dieser Gruppe angehören. Aber die Mitglieder der Expertenversammlung, nahezu ausschließlich Khomeini-treue Mullahs, dürften die Großayatollahs übergehen und Geistliche, wie den Staatspräsidenten Khamenei, den obersten Richter Mousavi und auch Rafsandschani in das Führungskollektiv berufen. Die Verfassung wird dann anschließend geändert, um diesen Schritt zu rechtfertigen. Damit deutet sich ein stärkeres Auseinanderklaffen von Religion und Politik im Iran an: der Beginn einer Entislamisierung der iranischen Gesellschaft.

Khomeini wird dabei über kurz oder lang die Rolle des Sündenbocks zufallen. Seine Entscheidung, den Krieg gegen den Irak erst so spät zu beenden, und die von ihm angeordnete Abgrenzung zum Westen werden als erstes kritisiert werden. Diese Tendenz hatte sich bereits zu Beginn des Jahres abgezeichnet. Die Freiheitsbewegung Iran, die vom ehemaligen iranischen Ministerpräsidenten Mehdi Bazergan geführte national-religiöse Gruppierung strebte eine Beteiligung an den kommenden Wahlen an. Khomeini persönlich verhinderte mit seinem Todesurteil gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie und die Kampagne gegen den Westen, daß die Freiheitsbewegung wieder offen arbeiten konnte. Auch bis auf weiteres ist damit nicht zu rechnen.

Rafsandschani dürfte jedoch die hinter Bazergan stehenden Kräfte nutzen, um die Macht zu monopolisieren. Nach dem Tode des Ayatollah braucht der Hojatoleslam nicht mehr als Khomeinis Musterschüler aufzutreten. Rafsandschani ist ein Verfechter der Politik der Liberalisierung der Wirtschaft. Er wird die Zeit der Trauer um Khomeini nutzen, um seine Führungsposition zu festigen. Dabei kann er den Umstand nutzen, daß die Auseinandersetzungen auch künftig hinter den Kulissen ausgetragen werden. Die Führung in Teheran wird trotz aller inneren Konflikte darauf achten, daß weder Mudschaheddin noch Monarchisten eine Chance erhalten, in Teheran die Macht zu ergreifen.

Walter Gebhard/ Nikosia