Trügerische Ruhigstellung

Wie verhält sich die Polizei beim nächsten Einsatz?  ■ K O M M E N T A R E

Mit seinem gestrigen Verhalten hat sich Innensenator Pätzold demonstrativ vor alle kritisierten Polizeiführer gestellt. Offenbar ist es der rot-grünen Koalition wichtiger, der Polizei Loyalitätserklärungen abzuringen, als den leitenden Herren im Polizeipräsidium deutlich zu machen, daß die Sicherheitspolitik in der Stadt nicht mehr von Kewenig und Müllenbrock gemacht wird. Und selbst wenn Pätzold nicht an eine „Verschwörung“ seiner Polizeioberen gegen Rot-Grün glauben möchte, wäre es doch seine Aufgabe, den Dilettantismus, mit dem die sturmerprobte Polizei an diesem 1. Mai agierte, aufs heftigste zu kritisieren. Polizeipräsident Schertz, sein Landespolizeidirektor Kittlaus und der Leiter des Einsatzes Heinz Ernst haben dann, nach Pätzold, zwar nicht gegen ihn konspiriert, aber ihren Auftrag dennoch in den Sand gesetzt. Und dafür gebührt ihnen weniger das Angebot des demonstrativen Schulterschlusses seitens der politischen Führung als der Ruhestand. Ein Polizeipräsident - zumal wenn er Volljurist ist -, der sich dahinter verschanzt, daß er angeblich nur den Weisungen Pätzolds gefolgt sei, die dann das Desaster erst möglich gemacht hätten, ist und bleibt ein Sicherheitsrisiko für diese Regierung. Schertz weiß schließlich ganz genau, daß die Polizei laut Verfassung dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist.

Aber der Senator will Ruhe in seine Polizei bringen und verhindern, daß sich Klüfte zwischen Polizei und politischer Führung auftun. Damit stellt er sich vor alles, was an diesem 1. Mai geschehen ist. So einfach ist das. Das wirft dann allerdings die Frage danach auf, wer die Sicherheitspolitik in dieser Stadt bestimmt: der von CDU -Sympathisanten durchsetzte Sicherheitsapparat oder die Politiker im Rathaus Schöneberg? Und auch die kleine Koalitionspartnerin müßte es eigentlich besser wissen: Ruhe ist schon lange nicht mehr die erste Bürgerpflicht. Denn: Der nächste Polizeieinsatz kommt bestimmt.

Till Meyer