Der schnelle Kompromiß

Zur Wahl Chameneis zum Nachfolger Chomeinis  ■ K O M M E N T A R E

Der Erhalt des Systems ist das höchste Ziel“, hat der am Sonntag zum Nachfolger Chomeinis bestimmte iranische Präsident Ali Chamenei einmal erklärt. Seine schnelle und überraschende Wahl durch die Expertenversammlung mit einer guten Zweidrittel-Mehrheit zeigt, daß der neue Führer des Landes mit dieser Meinung nicht alleine steht.

Das Zusammenrücken hinter Chamenei und die pragmatische Entscheidung signalisieren vor allem eins: Jedwede Unklarheiten in der Frage der Nachfolge und die Gefahr des Auflammens alter Rivalitäten mit neuer Heftigkeit sollen vermieden werden. Der Schritt demonstriert zugleich das reibungslose Funktionieren der Institutionen der Islamischen Republik auch nach dem Tode Chomeinis, eine deutliche Botschaft nach innen wie nach außen. Die Furcht vor einem politischen Chaos soll damit ebenso ausgeräumt wie der radikalen Opposition nachdrücklich klargemacht werden, daß auf einen Umsturz nicht zu hoffen ist. Die Wahl einer kollektiven Führung hätte demgegenüber die Auseinandersetzungen über den weiteren Weg der Islamischen Republik nur in ein neues Gremium verlagert.

Ein grundlegendes Problem, das sich nach dem Tode Chomeinis verschärft stellt, ist mit der Blitzentscheidung vom Sonntag freilich nicht ausgeräumt: Wie wird die Machtverteilung im Iran nach Chomeini aussehen, oder genauer, in wessen Händen wird die reale Macht liegen? Nach dem Tod des Revolutionsführers können die Politiker in Teheran nun frei agieren, ohne auf sein entscheidendes Votum zu warten. Sie ergriffen ihre Chance und hievten Chamenei auf den freien Posten, nachdem es sich im Zuge des Machtgerangels in den letzten Monaten als schwierig erwiesen hatte, ein adäquates neues Amt für den scheidenden Präsidenten zu finden.

Doch alle Anzeichen deuten daraufhin, daß Chamenei nicht in die Fußstapfen seines Vorgängers als höchste Autorität treten wird. Neben einem Präsidenten Rafsandschani mit erweiterten Kompetenzen dürfte ihm eher die Rolle eines religiösen Führers zufallen, eine Tendenz, die sich noch zu Lebzeiten Chomeinis seit letzten Herbst abgezeichnet hatte. Der jetzige Parlamentspräsident steht damit vor dem Ziel seines langjährigen Strebens nach der Position des mächtigsten Mannes im Staate. Beide Politiker befürworten die Herausbildung einer starken und kompetenten Zentralmacht und werden auch künftig mit den sogenannten Radikalen um Innenminister Motaschemi und seinen Anhängern, denen es vor allem um ein Schüren des revolutionären Feuers geht, zu rechnen haben. In der Stunde des Machtvakuums hat die iranische Führung ein deutliches Zeichen gesetzt, was ihr „höchstes Ziel“ ist. Wie lange diese Einigkeit anhält, bleibt abzuwarten.

Beate Seel