Parallele Verhandlungen wären besser

Jonathan Dean, früherer US-Botschafter bei den Wiener MBFR-Verhandlungen (der ersten Runde über konventionelle Abrüstung), zu Bushs Abrüstungs-Vorschlägen auf dem Nato-Gipfel in Brüssel  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Dean, für wie realistisch halten Sie den von US -Präsident Bush in Brüssel vorgeschlagenen Zeitrahmen (6-12 Monate) für die Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung angesichts ihrer Erfahrungen bei den MBFR -Verhandlungen?

Dean: Für mich bedeutet diese Ankündigung zweierlei: zum einen eine Verpflichtung des Präsidenten, das Unternehmen konventionelle Abrüstung prioritär voranzutreiben, zum anderen, kann es unter dieser Voraussetzung möglich sein, in einem Jahr ein Rahmenabkommen zu machen. Allerdings gehe ich davon aus, daß ein solches Abkommen noch eine Menge Details offenlassen wird. Es ist die Frage, ob damit die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen über die Kurzstreckenraketen erfüllt wären.

Es drängt sich doch der Verdacht auf, daß die Terminierung auf die Wahlen in der Bundesrepublik abzielt?

Die Terminierung ist hauptsächlich das Ergebnis der massiven Kritik an der Regierung Bush, sie sehe der von Gorbatschow vorangetriebenen Entwicklung tatenlos zu. Bush konnte aus Brüssel nicht mit leeren Händen zurückkommen, das hat er richtig eingeschätzt.

Außerdem lag die nukleare Frage auf dem Tisch, und er mußte reagieren. Wir haben ja gesehen, daß aus dem Zusammenspiel zwischen Gorbatschow und der europäischen Öffentlichkeit eine Dynamik entsteht, die nicht mehr zu stoppen ist, wenn die USA zu spät reagieren. Ich hoffe, daß die Sowjetunion jetzt ihre Propaganda für eine dritte Null-Lösung erst einmal zurückstellt.

Halten Sie denn die Koppelung zwischen konventionellen und nuklearen Verhandlungen, wie sie jetzt vorgenommen worden ist, für sinnvoll?

Persönlich wäre ich dafür gewesen, das parallel zu machen und dann mit dem Vollzug von Ergebnissen zu warten, bis beide Verträge unterschriftsreif sind.

Warum hat sich denn die US-Administration so vehement gegen parallele Verhandlungen gewehrt?

Die US-Regierung hat ja zuerst versucht, die Verpflichtung zur Stationierung modernisierter Kurzstreckenwaffen bei den europäischen Regierungen einzuholen. Da hat sie ziemlich unreflektiert ein Erbe Reagans übernommen, das war nicht besonders klug. Dann haben sie eingesehen, daß diese Verpflichtung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu bekommen war.

Als dann aber Genscher und Stoltenberg nach Washington kamen, um ihren Verhandlungsvorschlag zu unterbreiten, hatte man das Gefühl, daß die Dinge außer Kontrolle geraten. Das war eine typische Reaktion auf die amerikanische Sorge, in einen Prozeß ohne Ende hineingedrängt zu werden.

Man hatte in Washington einfach übersehen, daß es im Anschluß an den INF-Vertrag gerade auch ein Anliegen der bundesdeutschen Konservativen war, nun über atomare Artillerie und Kurzstreckenraketen zu reden. Dazu kam, daß im Zuge der Gorbatscho-Politik plötzlich auch wieder von Wiedervereinigung die Rede war - also man hatte in Washington den Eindruck, daß Bonn sich aus allen Bindungen lösen will. Es schien, als sei die ganze Bundesrepublik zu einer einzigen Friedensbewegung geworden.

In Brüssel hat Bush nun versucht, diesen Prozeß wieder einzufangen, unter Kontrolle zu bekommen. Dabei ist der US -Administration klar geworden, wie wichtig die Wiener Verhandlungen sind. Deshalb bin ich relativ optimintisch, daß es bald zu Ergebnissen kommt.

JG