piwik no script img

Tierversuche des Dr. Leßmann

■ Szenisches Erzählkabinett mit Kafka, Musil und Ferry

Wir stellen Ihnen ersteinmal das Personal des Kabinetts vor, nein, nicht Grusel-sondern Erzählkabinett heißt's: es sind drei Herren, mehroderminder künstlerische Einzeltäter mit akademischer Grundierung, alle Kinder der fünfziger Jahre, wo Schuld und Elend des dritten unter Speck und Bier des vierten Reiches versteckt wurde: Martin Leßmann, freier Schauspieler, zuletzt Teilnehmer der Schwarzwaldmädelvergackeierung im Schauspielhaus. Der spricht. Regie führt Peter Schenk, Ex-Kellner, Ex -Sozialwissenschaftler, Regiearbeiter u.a. für das Kabarett Verschärfte Himbeerbrause. Und Jan Christoph, (Jazz-) Pia und Komponist. Der spielt eigenkomponierte Zwischen-Musiken, zwar nicht auf dem Flügel, den gibt es im Lagerhaus nicht, aber auf einem halbwegs brauchbaren keyboard, von

schrillböse bis zuerst-ganz-hüb scher-Tango-und-erst-dann-gemein. Zusammengebracht hat die Drei, man ahnt es, der Hang zum schwarzen Humor.

Texte über Fliegen, Geier, Dohlen, Pferde, die meisten sind Kurzerzählungen von Franz Kafka. Da beginnt sich ja allgemein der schwere Vorhang des existentiell-alptraumhaft -dämonischen Triefens ein wenig zu heben und den Blick auf seinen schwarzen Humor freizugeben.

Leßmann erscheint auf der Bühne, zwischen Zahnarztstuhl und dem Rudiment einer Versuchsanordnung nebst Laborglas, unkostümiert, nur das Haar ein wenig penibel angeklatscht, verneigt sich verlegen - wir demonstrieren unsere Tierversuche nicht vor der Öffentlichkeit - und zieht eine schwarze Jacke über und erscheint hinfort un

merklich verwachsen, hat er nicht doch einen Buckel? Wenig Gesten, wenig Bewegungen, außer beim letzten Stück von Jean Ferry, in der Hauptsache dieses Gesicht. Immer wieder dieses Weiten der kindlich-dunkel-Kinsky-blauen Augen zum Basedowschen Blick, von grauenhaften Quellen entzückt und verrückt, dann verschwinden sie wieder, „jäh“ hätte man früher geschrieben, unter verdüsternden Stirnfalten.

Das Problem: einige Kafkatexte wollen sich der Erzählhaltung dieses liebenswürdig-verrückten-sadistisch -entzückten Dr. Leßmann nicht fügen. Vor allem Der Landarzt nicht. Da ist auf gleicher Sprachebene ein solches Oszillieren der Gefühlslagen und Perspektiven, da kommt Leßmann nicht nach, sollte auch keiner versuchen, es zu tun. Wahrscheinlich läßt sich dieser Text überhaupt nur sprechen unter Zurücknahme aller extrovertierenden Mittel, d.h. vielleicht läßt er sich überhaupt nicht „spielen“.

Im Gegensatz zu dem Eingangs text, Das Fliegenpapier von Robert Musil. Die anteilnehmende Zu-Tode-Beobachtung der durchaus menschlich betrachteten Fliegen auf dem Fänger, zu ihr paßt die höchst beteiligte Nichtbeteiligung des Dr. Leßmann exaktest. Sehr sauber, Herr Doktor.

Uta Stolle

9.6., 20 Uhr, Galerie Steinbrecher

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen