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Evangelisches Woodstock

■ Menschenfischerei einer Staatskirche: Der 23. Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin

Otto Kallscheuer

Laut Predigttext des Eröffnungsgottesdienstes kam Jesus nach Galiläa, predigte die Frohe Botschaft des Herrn und sprach: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen (Markus 1, 14-15).

Nicht nur die Republik feiert ihr Jubiläum, auch der Evangelische Kirchentag: Vor vierzig Jahren, in der zeitlichen Mitte zwischen BRD- und DDR-Gründung als „Einrichtung in Permanenz“ ins Leben gerufen, ist er heute staatstragender denn je. Gerade erst wurde der langjährige Kirchentagschef Richard von Weizsäcker mit eindrucksvoll parteienübergreifender Mehrheit als Staatsoberhaupt bestätigt. Die Zeit ward erfüllt und Gegenkandidaten gab's keine mehr.

Sein Geist weht jetzt über den Messehallen am Funkturm. Denn anders als die ultramontan-römische hat es die protestantische Kirche in Restdeutschland seit dem zuerst in ihren Reihen mit violetten Halstüchern ausgefochtenen „Raketenstreit“ zu Beginn der Achtziger verstanden (oder doch nolens volens lernen müssen), sozialen Protest, Frauenquoten und „Basisdemokratie“ (R.v.Weizsäcker) symbolisch in ihre Präsentation einzubauen.

Dieweil Predigthallen und Wortgottesdienste sich auch bei den Protestanten leerten, wurden ihre Gottesdiener in den Medien und Menschenketten, bei Dialogrunden oder gesamtdeutschen Friedens- und Ökobotschaften immer allgegenwärtiger.

Zwar regt sich nicht nur in Nordelbien traditionalistischer Unmut in den Gemeinden, zwar erhalten renitente Charismatiker gerade als Gewissensrebellen wider kirchliche „Überpolitisierung“ Zulauf, zwar maulen evangelikale Fundis immer lauter (zuletzt im Stuttgarter Neckarstadion) ... doch der protestantische mainstream hat Blut geleckt: Die meinungsführende Karawane des deutschen Protestantismus zieht weiter in Richtung auf politische Repräsentation. Mit Basis-appeal kehrt es wieder, jenes Staatschristentum der „Christenheit“, gegen das weiland schon Sören Kierkegaard so treffend gewettert hatte: „Das offizielle, staatskirchliche, volkskirchliche Christentum, das freilich wiederum, mit dem Neuen Testament verglichen, das numerisch Erstaunliche aufweist: Christen millionenfach, alle von gleicher Bonität.“ (Der Augenblick, 1/1855)

Seitdem: Kein Stahlwerkstreik, keine Brücke der Solidarität, kein Schweigemarsch gegen Tiefflüge, keine Fernseh-Talkshow über Partnerschaft, Kinderwunsch oder Aids ohne den Herrn Seelsorger oder die Frau Pfarrerin. Nicht wie die Katholiken durch militante Abtreibungsgegner in den eigenen Reihen und schwer vermittelbare Orders aus einer römischen Zentrale gehandicapt, haben die Amtsprotestanten ihre Marktlücke entdeckt: die Glaubwürdigkeitskrise der großen Volksparteien, nicht zuletzt der vom Erfinder Adenauer zwar interkonfessionell angelegten, doch eindeutig katholisch dominierten Union. Und sie sind entschlossen, den Fuß in der Tür zu behalten. Schließlich ist „die Krise der politischen Parteien und der Zuwachs an Interesse, den die Kirchen erfahren, nicht in erster Linie Krise des Politischen, sondern Indiz dafür, daß der politische Raum selbst von den Parteien und Apparaten längst verlassen wurde.“ (Andre Gorz)

Darum sollte erstens das Forum dieses Kirchentags ganz nüchtern verstanden werden als das, was es ist, als politische Bühne. Hier wird an den Konturen des politischen Konsenses der Neunziger gefeilt. Das Forum internum, das Gewissen des Christenmenschen, aber wird hier kaum Stimme finden. Echte „Wahrheitszeugen“ (Kierkegaard) verbreiten ihre existenzielle Umkehr nicht vor Publikum, Mikros, Kameras... Vielmehr stehen heute die Politiker, viel SPDGB -Prominenz und sonstige Gewissensdarsteller, Schlange vor den Veranstaltungen des Kirchentages: Die ökumenische Versammlung der Weizsäcker-Sympis, von Norbert Blüm bis Franz Steinkühler, von Rita Süssmuth bis Antje Vollmer, von Johannes Rau bis Christa Nickels, von Eva Rühmkorf bis Franz Alt, von Lieselotte Funcke bis Hans Maier (immerhin Exchef des Konkurrenzvereins: aber auch die katholische ZK -Präsidentin Waschbüsch übt sich in Berliner Ökumene) ... nobody's missing im Wood stock des neuen bundesrepublikanischen Konsenses. Außer natürlich (Noch-)Kanzler Kohl, die REPs und die Autonomen. Und: Die Macher Lafontaine und Späth halten sich zurück. Sowie: Kardinal Meisner will in Berlin nicht nach fremden Regeln in den Ring.

Zweitens mag protestantische Staatskirchlichkeit zwar der SPD Irseer Programme verfassen oder geschichtsbewußte Reden schwingen, aber sie kann einfach keine göttliche Transzendenz sinnlich verkörpern. Sorry, but so etwas können nur Katholiken. Evangelische Liturgie bleibt kommunikatives Handeln - ein weltlich Ding also -, will sie mehr, wird sie unweigerlich peinlich: „ein reizendes Idyll mit Kinderzeugen und Hopsasa“ (Kierkegaard). Im Kulturprogramm dafür diesmal Wim Wenders, Thomas Brasch, Peter Härtling, Walter Jens, „Tips, Tricks und Hits“, Rockgruppen, 6.000 protestantische Posaunisten sowie Jazz -Improvisationen aus der DDR in der von unseren amerikanischen Freunden gestifteten Kongreßhalle...

Drittens verspricht dieser Kirchentag auch Aufschluß über die bundesdeutsche Seelenlage. Das Bündel der Sinnkrisen wird zum Arbeitsfeld der Therapiegesellschaft. Also schwärmen Scharen von PsychoarbeiterInnen aus zu allen Lebensfragen von Trennung, Kinderwunsch, Sexualpädagogik, Lesben in der Kirche... bis hin zur Talkshow mit Senioren, Taufe als Gestalttherapie, Liturgie des Lebens, Palaver in Kindergruppen, Pantomime. O-Ton: „Mittagssiesta mit entspannenden Angeboten. In der Halle teilen wir miteinander Bananen aus Nicaragua, Fladenbrot und Wasser, Gurken und Käse. Die Tischdecken webten Frauen aus Indien.“ Leider muß man die Joints selber mitbringen.

Ultimo: Und die Präsenz Christi? In der repräsentativen Kirche waltet das Amt. Der Geist Gottes aber weht, wo er will. Wer in sich den Ruf nicht bereits verspürt, dürfte ihn auf dem „Markt der Möglichkeiten“ in den Messehallen kaum vernehmen. Mal ehrlich: Würden Sie sich von Franz Steinkühler oder Nicaraguas Innenminister Tomas Borge in das Mysterium der Menschwerdung des Wortes einführen lassen?

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