Karstadt ist zu - Die Stimmung ist bestens

Im Tarifkonflikt um den Ladenschluß mußte die Karstadt-Filiale in Altenessen gestern schließen / Belegschaft wendet sich hauptsächlich gegen den langen Donnerstagabend / KundInnen verständnisvoll / Auch andere Kaufhäuser bestreikt  ■  Aus Essen Bettina Markmeyer

„Seit zwei Uhr heute morgen bin ich in der Wohnung rumgestrichen und konnte nicht mehr schlafen“, sagt Rita Emons, streckt ihre Hände vor und tut so, als hätte sie einen Tattrigen. Daß sie „doch Muffen hatte“, merkt man der resoluten Mittdreißigerin, Betriebsratsvorsitzende bei der Karstadt-Filiale in Altenessen, nicht mehr an. „Von Anfang an“, 16 Jahre, arbeitet sie schon hier. Jetzt steht sie inmitten diskutierender und lachender Frauen und verschafft sich einen Überblick.

Auch die Teilzeitbeschäftigten, Verkäuferinnen aus allen Abteilungen, kommen an diesem Mittwoch schon lange vor neun. Denn Karstadt in Altenessen bleibt heute zu. „Ich bin schon früh zum Zahnarzt und hab‘ meinen Termin abgesagt. Bei Karstadt wird gestreikt, hab‘ ich gesagt, da muß ich hin.“ Frau P. aus der Lebensmittelabteilung, hätte eigentlich heute ihren freien Tag.

Die Streikleitung verhandelt mit Karstadt-Geschäftsführer Jesse über den sog. Notdienstplan, den die Geschäftsleitung noch am Dienstag in den späten Abendstunden ausgetüftelt hat. Danach sollen fast 40 Leute wie gewohnt ihre Arbeit tun. „Völliger Unsinn“, sagt Rita Emons. Ein Notdienst kann nur in Übereinstimmung zwischen der Streikleitung und der Geschäftsführung vereinbart werden.

Um kurz nach neun ist die Schließung von Karstadt wegen Streik durch. „Nur vier Kolleginnen und Kollegen gehen rein und machen Notdienst“, verkündet der Geschäftsführer des HBV -Bezirks Ruhr-Mitte, Arne Schumacher, durchs Megaphon. „Dafür hat die Geschäftsleitung zugesichert, daß das Haus heute zubleibt. Damit hätten wir unser Streikziel erreicht!“ Beifall von den inzwischen wohl 80 Beschäftigten, fast nur Frauen.

202 Beschäftigte hat Karstadt-Altenessen, davon viele Teilzeitkräfte. Von den etwa 130 gewerkschaftlich Organisierten haben am vergangenen Dienstag „100 Prozent“, so Betriebsratsvorsitzende Emons, für den Streik gestimmt. Sie selbst wurde in den letzten Tagen von der Geschäftsleitung, die Streiks auf jeden Fall verhindern wollte, massiv unter Druck gesetzt. Der Karstadt-Belegschaft geht es vor allem um die Verhinderung des langen Donnerstags, aber auch um mehr Lohn und eine bessere Absicherung der Teilzeitkräfte. Auch die Bochumer Kaufhalle wird heute bestreikt, kann mit StreikbrecherInnen aus Gelsenkirchen und vom Niederrhein aber dennoch geöffnet werden. In Köln laufen Warnstreiks in mehreren Häusern, zwei Kaufhalle-Filialen bleiben geschlossen.

„Sehen Sie“, sagt eine Kollegin, die sonst in der Handarbeitsabteilung steht, „das Geld wird ja nicht mehr. Der Umsatz bleibt der gleiche. Und wenn wir hier in Zukunft länger stehen und Lüftung und Licht und was da alles noch zukommt draufgeschlagen werden, dann kosten die Sachen auch mehr. Wieso fragt keiner die Kunden, ob die in Zukunft auch mehr bezahlen wollen?“ „Wir arbeiten sowieso schon immer so lange“, sagt eine andere, „und jetzt sollen wir noch länger? Nee! Da fängste dann den nächsten Morgen zwei Stunden später an, aber da haste auch nichts von. Hier im Haus will das keine.“ Die ersten KundInnen, die den Karstadt-Eingang verschlossen finden, reagieren verständnisvoll. „Ich wollte auch nicht so lange arbeiten“, sagt eine Frau. Eine andere meint, wer bis „um halb sieben das Einkaufen nicht geregelt kriegt, der kriegt es bis halbneun auch nicht mehr geregelt“. Und ihre Begleiterin: „Vielleicht ist der lange Donnerstag für die Berufstätigen schön, aber ich bin Hausfrau, ich brauch‘ dat nicht.“ Als weitere KundInnen hinzukommen, gibt es erste Diskussionen. Die meisten Frauen versetzen sich sofort in die Lage der Verkäuferinnen, während Männer lieber ins Grundsätzliche gehen: Die Novellierung des Ladenschlußgesetzes sei durch, wenn's alle machen, müsse man bei Karstadt auch, die Konkurrenz, der Binnenmarkt usw. „Man muß doch an die Zukunft denken“, meint einer, das Ladenschlußgesetz überhaupt sei veraltet. „Außerdem: Ich hab‘ selbst seit meinem 14. Lebensjahr Wechselschicht gearbeitet, wieso soll im Handel nicht gehen, was in der Industrie schon lange geht?“

VerkäuferInnen und Azubis aus anderen Geschäften im Einkaufszentrum freuen sich über den Streik - mehr oder weniger verhalten. Mitmachen jedoch, meinen die meisten, könnten sie nicht. „Ach, und wir holen für die wieder die Kohlen aus dem Feuer. Das war doch schon vor vier, fünf Jahren bei der 38,5-Stunden-Woche, da wurde auch nur bei Karstadt gestreikt!“ kommentiert eine Karstadt-Kollegin die Zurückhaltung. Auch von den Geschäften an der Altenessener Straße, über die sich jetzt die inzwischen gut 100köpfige Streikbelegschaft Richtung Streiklokal in der Zeche Carl in Bewegung gesetzt hat, winken Verkäuferinnen rüber und wünschen „viel Erfolg“.

In der Zeche Carl, wo sonst für Jugendliche Kneipe, Kino, Workshops und heute abend ein Konzert mit „Punk und Trash aus Essen“ angesagt sind, stehen schon lange Tische mit Gedecken und belegten Brötchen bereit. Karstadt ist zu, die Stimmung ist bestens, und bevor es jetzt um neue Infos, Streikgeldauszahlung und die für den 14. Juni neuanberaumten nächsten Tarifverhandlungen geht, gibt's „erst mal 'n ordentlichen Kaffee“.