Endgültiges Aus für AKW-Obrigheim?

Rechtsgutachten bestätigt: Das AKW wird seit 21 Jahren ohne Genehmigung betrieben / Grüne stellen Dringlichkeitsantrag zur sofortigen Stillegung des heute kaum mehr genehmigungsfähigen Uralt-Kraftwerks /Fiasko für Wirtschaftsminister Herzog und Betreiber  ■  Von Hartmut Zeeb

„Seit dem 10.7.1976 fehlt die nach §7 Atomgesetz erforderliche Genehmigung für den tatsächlich ausgeübten Dauerbetrieb des Atomkraftwerks Obrigheim.“ Das Gutachten, dem diese Passage entnommen ist, wurde nicht von den AtomkraftgegnerInnen in Auftrag gegeben, sondern von der Staatsanwaltschaft Mosbach. Es wurde in den letzten Tagen den Grünen zugespielt, die es umgehend der Öffentlichkeit zugänglich machten. Der Autor, Professor Rainer Wahl, ist kein Anhänger der Öko-Partei, sondern Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg; er gilt als konservativer Jurist und Berater von Umweltminister Töpfer.

Bereits vor zwei Jahren hatten die Grünen im Stuttgarter Landtag beim zuständigen Landgericht Mosbach Strafanzeige wegen unerlaubten Betreibens einer kerntechnischen Anlage gestellt. Der Betreibergesellschaft (KWO GmbH und Siemens) und den Verantwortlichen der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde (Wirtschaftministerium Baden-Württemberg) wurde vorgeworfen, für Obrigheim sei lediglich der Anfahr und Probebetrieb, nicht aber der Dauerbetrieb genehmigt.

Für das älteste Kernkraftwerk der Republik wurde die Genehmigung nicht einmal beantragt, obwohl von Siemens ein minutiös ausgearbeitetes Inbetriebnahmeprogramm vorgelegt worden war. Minister Herzog hatte versucht, sich mit Spitzfindigkeiten - „Es bedarf nach unserer Einschätzung einer besonderen ausdrücklichen Genehmigung für den Dauerbetrieb verbaliter nicht“, herauszureden. Dazu Professor Wahl: „Weder das Abrücken vom ursprünglichen Genehmigungskonzept noch die stillschweigende Unterstellung, daß eine Genehmigung für den Dauerbetrieb bereits vorliege, kann die erforderliche ausdrückliche Erteilung einer Dauerbetriebsgenehmigung ersetzen. Sie scheidet schon deshalb aus, weil anfechtungsberechtigte Dritte nicht erkennen konnten, ab wann die Behörde den Probebetrieb für beendet und den Dauerbetrieb für genehmigt hielt.“

Für Rezzo Schlauch (MdL, Grüne) hat sich Wirtschaftsminister Herzog mit dem Gutachten „eine schallende Ohrfeige eingehandelt, die er, wenn es mit rechten Dingen zugeht, politisch nicht überleben dürfte“. Ein Pressesprecher des Ministers versprach zwar die Prüfung des Gutachtens, bestand aber darauf, daß seine Behörde das AKW weiterhin für genehmigt betrachte. Diese Einschätzung kontrastierten die Grünen im Landtag gestern mit einem Dringlichkeitsantrag, in dem sie die umgehende Stillegung der Anlage fordern. „Obrigheim läuft illegal“, begründete Schlauch. Spätestens seit Juli 1976 habe das Stuttgarter Wirtschaftsministerium „in eklatanter Weise“ gegen die Bestimmungen des Atomgesetzes verstoßen. Demgegenüber meinte Regierungssprecher Zach, die im Laufe der Jahre gegebenen Teilgenehmigungen kämen „in ihrer Summe einer Dauergenehmigung gleich“.

Die Grünen knüpfen mit ihrem Dringlichkeitsantrag an ihren parlamentarischen Vorstoß von 1987 an, den Wirtschaftsminister Herzog zwei Jahre lang nicht zur Kenntnis genommen hatte. Herzog hatte die damalige Grünen -Initiative lediglich als ein „übles Spiel mit der Angst“ bezeichnet. Nach dem jetzt veröffentlichten Gutachten dürfte dieses Verdikt kaum noch haltbar sein und der Minister könnte durchaus in die Bredouille geraten. Einiges spricht nämlich dafür, daß nicht ausschließlich Schlamperei für die ausgebliebene Genehmigung verantwortlich zu machen ist. Denn nach der letzten Novellierung des Gesetzes über die Reaktorsicherheit wäre das Uralt-AKW kaum mehr genehmigungsfähig gewesen. Seit Jahren werden die fehlende Auslegung der Anlage gegen Flugzeugabstürze sowie weitere gravierende Sicherheitsmängel moniert. Immerhin hat das AKW im Odenwald bereits weit über 100 Störfälle produziert. Wenn es demnächst abgeschaltet werden sollte, stellt der Fall Obrigheim eine neue schwere Schlappe für die in jüngster Zeit arg gebeutelte Atom-Lobby dar.