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„Politische Bankrotterklärung“

1.500 Ostberliner verlangen anläßlich einer Kirchentagung Aufklärung über registrierten Wahlbetrug / „Mündige Bürger“ verurteilen die willkürliche Rechtspraxis der Staatssicherheit  ■  Von Birgit Meding

Berlin (taz) -Die Wahlfälschungen anläßlich der letzten DDR -Kommunalwahl mobilisieren weiterhin kritische DDR-Bürger und Sicherheitskräfte. Mehr als 1.500 Menschen kamen auf einer Kirchenveranstaltung am Donnerstag abend in Ost-Berlin zusammen, um vom Staat Aufklärung über den registrierten Wahlbetrug zu verlangen und gegen die massiven Polizeieinsätze der letzten Tage zu protestieren. Ein großes Polizeiaufgebot war rund um den Veranstaltungsort, die Ostberliner Gethsemane-Kirche, postiert. Zu Auseinandersetzungen kam es allerdings nicht. Offensichtlich hält man sich wegen des Kirchentages in West-Berlin zurück, wird in Ostberliner Kirchenkreisen vermutet.

Großen Beifall fand eine Erklärung der Gruppe „Mündige Bürger“. Darin heißt es unter anderem: „Die willkürliche Rechtspraxis und der rücksichtslose gewaltsame Einsatz von Polizei und Staatssicherheit als einzige Antwort auf den Mitgestaltungswillen der Bürger sind eine politische Bankrotterklärung.“ Macht dürfe nicht länger „im Namen des Volkes und auf dem Rücken der Bevölkerung“ stattfinden. Wollten die Herrschenden ihren „demokratischen oder gar sozialistischen Anspruch“ aufrechterhalten, müßten sie jetzt den Dialog mit der Bevölkerung beginnen. Die Kirche sicherte unterdessen all denjenigen Rechtsbeistand zu, die im Zusammenhang mit den Protesten und Festnahmen gegen die Wahlfälschungen mit hohen Ordnungsstrafen rechnen müssen.

Auf dem Kirchentag in West-Berlin wurde ebenfalls eine Resolution gegen die Wahlfälschungen verabschiedet. Zudem wurden die Verantwortlichen aufgefordert, den Vorwürfen in einer unabhängigen Kommission nachzugehen. Der Ostberliner Bischof Forck sagte in West-Berlin, er erwarte von der DDR -Regierung eine plausible und überzeugende Erklärung zu den Differenzen zwischen amtlichen und ausgezählten Wahlergebnissen. Die Zweifel an deren Korrektheit dürfe man nicht zu den Akten legen. Die Kirche wolle friedlich und beharrlich weiterverhandeln.

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