Revolution, blauäugig besungen

■ „Alle Menschen werden Brüder“ / Töne und Texte zum Geburtstag von 1789

„Musik im Kontext“, hinter diesem Namen verbergen sich elf zumeist junge Musiker und Schauspieler mit einem gattungsübergreifenden, künstlerischen Konzept. In der Kunsthalle präsentierte sich die Gruppe erstmals mit einem Programm aus Anlaß des 200-jährigen Jubiläums der Französischen Revolution. Eine Montage aus Musik und Texten zeichnete chronologisch die historischen Stationen der Revolution und ihre Resonanz in der damaligen Kunst nach. Vom Lebensstil der Aristokratie zum Ausbruch der offenen Auseinandersetzungen (Mirabeau-Rede), Beethovens op.1. Vom Konflikt der Montagnards mit den Girondisten über Schumann, Heine und vieles mehr zu den Repressionen im Metternich -Österreich und dem zweiten Satz aus Schuberts Streichquartett. Während die

Schauspieler sehr überzeugend agierten, blieb die Musik etwas blaß. Der Versuch, die Zerrüttung der Musik auszuspielen, ging meistenteils auf Kosten filigraner Linien und der rhetorischen Figuration, die sich in allen Stücken findet. Der „Krähe“ aus Schuberts „Winterreise“, einer Charakterisierung des Spitzelwesens in Österreich, fehlte der ironische Gestus, den das Lied benötigt. Am eindringlichsten gelangen die Interpretationen Beethovens, Schuberts und Diabellis. So lobenswert die gesamte Konzeption des Ensembles auch ist, so problematisch war sie hinsichtlich des gestellten Themas. Angesichts des gärenden Historikerstreits in Frankreich ist es heute unmöglich, die Revolution lediglich chronologisch „im Spiegel der Kunst“ vorzuführen. Eine zu emphatische Identifikation mit

dem revolutionären Impetus und der Trauer um den restaurativen Umschwung ignoriert die unheilvolle Saat, die im folgenden Jahrhundert aufgeht. Die exemplarischsten Werke der Zeit, wie z.B. der verzweifelte Aufschrei im letzten Satz von Beethovens 9.Symphonie (das berüchtigte „alle Menschen werden Brüder“), klingen schon wie böse Drohungen, beinhalten den Zwang totalitärer Identifikation. Unter ihrer Herrschaft muß das Andere sich gleichmachen, sich das Siegel der Einheit ins Fleisch drücken lassen, oder es wird ausgelöscht.

Eine Thematisierung der „Großen Revolution“ muß sich an die Problematik von heute aus heranwagen. Wenn die Ereignisse bloß in der Historie eingeschrieben bleiben, gerät sie ein wenig zu blauäugig.

H.Schmidt