Verstand in Gottes Händen

■ Frank Schütte, Koordinator des „Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten e.V.“, zum Kirchentagsrummel

taz: Wie bewerten Sie das diesjährige Kirchentagsmotto „Unsere Zeit in Gottes Hände“?

Frank Schütte: Dieses Motto ist für uns eine rechtsextreme Äußerung. Es heißt nichts anderes als: Wirf den Verstand weg, und unterwirf dich den Obrigkeiten und Autoritäten, die natürlich von Gott eingesetzt sind - siehe 2.000 Jahre Kriminalgeschichte des Christentums. Das Motto des Kirchentages entmündigt und entpolitisiert gleichzeitig die kirchlichen Basis-Gruppen, insbesondere die Friedensbewegung. Und dies ist genau die Politik der Hierarchien. Es ist für uns unfaßbar, daß sich Hunderttausende, vor allem junger Menschen, unter ein solches Motto zwingen lassen und es dazu noch auf der Brust als Plakette vor sich hertragen. Wir sehen: Die Strategie der Kirchenbonzen zeigt erste Erfolge. Demokratie und Hierarchie verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser. Deshalb unsere Skepsis, wenn gerade kirchliche Gruppen sich an die Spitze der Friedensbewegung und Menschenrechtskampagnen setzen.

Ist der von Senatsseite mitfinanzierte Glaubensrummel nicht ein Verstoß gegen das in der Verfassung garantierte Prinzip der Trennung von Kirche und Staat?

Ja, es ist ein eklatanter Verstoß. Zum ersten Mal wurde ein Kirchentag fast zu 100 Prozent vom Staat finanziert. Der Senat gab 26 Millionen, der Bund nochmal 600.000 DM, und die Kirche selbst brachte an Eigenleistung nur drei Millionen ein. Und das bei über sechs Milliarden Mark, die allein die Evangelische Kirche jährlich an Kirchensteuern einnimmt. Und wieviel geben die Kirchen für ihre Sozialarbeit aus? Kaum mehr als 15 Prozent, die anderen 85 Prozent der „Kirchlichen Sozialarbeit“ finanziert sowieso der Staat. Dabei haben die über 700.000 Arbeitnehmer des Großkonzerns Kirche, der neben dem Öffentlichen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber in der BRD ist, noch nicht einmal die üblichen Mitbestimmungsrechte. Für sie gibt es keine Tarifverträge, und das Betriebsverfassungsgesetz gilt auch nicht. Der Betrieb Kirche ist ein Tendenzbetrieb, in dem die „kirchliche Moral“ gesetzlich geschützt ist. Staat und Gewerkschaften können nicht eingreifen, wenn elementare Grund- und Mitbestimmungsrechte verletzt werden. So hat ein Konfessionsloser es immer schwerer, beim Arbeitgeber Kirche eine Anstellung zu finden. Auch dies ist ein grober Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, auf den alle Bürger unabhängig von Herkunft und Religionszugehörigkeit ein Recht haben.

Wie erklären Sie sich dennoch die Begeisterung für Gott, vor allem der vielen jungen Besucher?

Wenn die Begeisterung überhaupt wirklich vorhanden ist, dann dürfte sie unserer Ansicht nach geteilt sein. Sie gilt allenfalls dem Monster Gott - wer immer das auch sein mag keinesfalls den Kirchenbonzen. Das spricht für die Jugendlichen, die aber andererseits, wie eingangs erwähnt, sich der Strategie ihrer Kirchenoberen auch lammfromm unterordnen. Im übrigen ist die Begeisterung eher darauf zurückzuführen, mal dem häuslichen und kirchlichen Alltagsmief für einige Schäferstündchen entronnen zu sein. Schlimm ist für uns Atheisten nur, mitansehen zu müssen, wie der Idealismus der jungen Leute von den Kirchenoberen vermarktet und für ihre machtpolitischen Ziele mißbraucht wird.

In den westlichen Industrienationen werden die Kirchen immer leerer, der Einfluß der Kirchen scheint aber zu wachsen. Wie erklären Sie sich das?

Es liegt in erster Linie am Opportunismus der Parteien und Politiker. Sie halten den Leichnam Kirche mit ständigen Finanzspritzen am Leben, selbst wenn das kirchliche Leben immer schwächer wird. Nehmen wir nur unseren Bundespräsidenten von Weizsäcker: Auch er trägt das liebe Jesulein in allen seinen Reden wie eine Standarte vor sich her. Uns ist nicht bekannt, daß er sich nur einmal über die Grundrechte von Atheisten geäußert hätte - zum Beispiel zu den zwei Dutzend „Gotteslästerungsverfahren“ (Pragraph 166 StGB) gegen Atheisten in der BRD. Konfessionslose werden in der BRD behandelt wie Bürger zweiter Klasse, dabei stellen sie zahlenmäßig durchgehend mehr als 11 Prozent der gesamten Bevölkerung, in Berlin gar 26 Prozent.

Wie sieht Ihre Bilanz des Kirchentages aus?

Wir befürchten, daß 1990 mit dem Katholikentag in Berlin noch Schlimmeres auf uns zukommt. Dann rückt die „Opus Dei„ -Front bei uns ein, Erzbischof Dyba und Konsorten zum Beispiel. Die Millionen Zuschüsse für den Evangelischehn Kirchentag hatte ja noch der alte CDU-Senat bewilligt. Wir gehen davon aus, daß die Katholische Kirche, obwohl ihre Gläubigen nur 13 Prozent der Bevölkerung West-Berlins ausmachen, sich ebenfalls ihr Spektakel vom Senat finanzieren lassen möchte. Wir sind schon jetzt gespannt darauf, wie der neue rot-grüne Senat auf diese Forderung reagieren wird.

Und Ihre Konsequenzen?

Wenn sich schon in der Kirche nichts ändert, sollte sich bei dem einzelnen Kirchgänger etwas ändern: Er sollte sich ernsthaft die Frage stellen, warum er diesem Heilsverein noch angehört. Demokratie wird erst möglich, wenn die Hierarchien und ihre Träger abgeschafft sind.

Interview: Till Meyer