Videoworkshops contra Infotainment

■ Workshop-Gruppen wollen britisches „Channel four„-Prinzip in Nordrhein-Westfalen durchsetzen Diskussion mit SPD-Medienexperten / Offene Kanäle als „Endlagerstätte“ für kreative Gruppen

Für die medienpolitischen Macher in der Düsseldorfer Staatskanzlei, der Regierungszentrale des nordrhein -westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) sind sie eher lästige Kostgänger, die dem Staat auf der Tasche liegen und zu einem Dauer-Subventionsfall zu werden drohen: die Film- und Video-Workshops, die sich an Rhein und Ruhr vor einigen Monaten landesweit zusammengeschlossen haben, um in dem ständig weiter wachsenden Medienwildwuchs „eine Bresche zu schlagen für eine von Partei- und Wirtschaftsinteressen unabhängige, regionale, bürgenahe, vielfältige, langfristig angelegte Film- und Videokultur“ in dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Am Wochenende trafen sich nun die „Workshopper“ und Vertreter der nordrheinwestfälischen Landesregierung, um mit Interessierten über Ziele und Zukunft ihres Modells zu diskutieren. Der Workshop-Gedanke

Die Film- und Video-Workshops wollen - nach dem englischen Vorbild von „Channel four“ - inhaltlich, formal und technisch qualitativ hochwertige Produkte für feste Sendeplätze im privaten Kommerzfunk (was nach dem NRW -Landesrundfunkgesetz durchaus möglich wäre) ebenso produzieren wie für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten und größere Institutionen, wie etwa Gewerkschaften und Kirchen die nach einer Anlaufphase mit staatlicher Unterstützung später den Workshop-Pool mitfinanzieren sollen.

Freilich wollen sich die Workshopper, deren Strukturen von Anfang an umfassende Formen von betrieblicher Mitbestimmung bzw. „extrem flache und bewegliche Hierarchien“ mit gemeinschaftlichem Besitz und gemeinnützig geregelten Gewinn -Investitionen vorsehen, von der „vorherrschenden Arbeitsweise“ in den bundesdeutschen Fernsehanstalten deutlich unterscheiden: Tabu sind „locker-flockige“ Drei -Minuten-Reportagen mit einer Null-acht-fünfzehn -Kameraeinstellung, deren Informationen sich der zuständige Redakteur auf der Fahrt zum Drehort aus den aktuellen Tageszeitungen zusammenklaubt.

Gerade mit einer solchen Arbeitsweise würden im Fernsehen „in der Regel Bilder produziert und Urteile gefällt, die an der Realität vorbeigehen, wie es in einem Dossier der Filme und Videomacher heißt. Insbesondere das Ruhrgebiet sei in dieser Hinsicht eine „arg gebeutelte und leidgeprüfte Region“, die oft nur als „Hintergrundkulisse mißbraucht.

Dagegen wollen die NRW-Workshops eine „Heimatkunde jenseits von Klischee und konservativer Wertorientierung“ setzen: mit neuen Erzählformen und ungewohnten Kamerasperspektiven „Spurensuche“ betreiben, Spielserien, experimentelle Videos, Kinderfilme, spannende Dokumentar und Kurzfilme produzieren, zugleich aber auch Politisches und Satirisches fabrizieren. Die Palette der 14 sehr unterschiedlich ausgerichteten NRW-Workshops, die jeweils fünf bis 15 Mitarbeiter umfassen, reicht von der „Produktionsgemeinschaft Dokumentarfilm Ruhr“ über den „Film - und Video Workshop Bonn“ bis hin zum „Frauenworkshop Ruhrgebiet“ und dem „Video-Workshop für Kinder und Jugendliche, Köln“. Finanzierungsfragen

Immer wenn es während des Treffens der „Medien-Workshopper“ am Wochenende in Köln um die dafür notwendige „Staatsknete“ ging - die 14 Film- und Videogruppen dieses bundesweit einzigartigen Zusammenschlusses fordern von der Regierung Rau eine vier- bis fünfjährige „Anstoß-Finanzierung“ in Höhe von sieben Millionen Mark pro Jahr - erhoben die Düsseldorfer Regierungsbeamten ihren pädagogischen Zeigefinger und gemahnten an ihre „politische Verantwortung“. Die Politik dürfe „jungen Leuten nicht suggerieren, ihre Tätigkeit sei eine aus öffentlichen Mitteln ständig garantierte“, sagte Wirtschaftsförderer Wolf Schäde.

Raus Regierungsbürokraten trauen den „Workshoppern“ offenbar nicht zu, „marktgängige“ Film- und TV-Produktionen zu realisieren, die sie nach einer mehrjährigen Anlaufphase tatsächlich finanziell unabhängig machen. „Einfach Lust haben auf etwas“ reiche bei weitem nicht aus: Wer für Märkte produziere, „muß es auf sich nehmen, jedenfalls in Teilbereichen fremdbestimmt zu sein“, dozierte Raus Medienreferent Hans Gerd Prodoehl wider das Lustprinzip.

Dennoch. Als bunter Tupfer in der arg uniformen nordrhein -westfälischen Medienlandschaft sind die Film- und Video -Workshops der Rau-Regierung offenbar durchaus willkommen. Nur einen ernstzunehmenden Charakter als Produzenten professioneller Film- und Fernsehprodukte, die Anspruch auf staatliche Wirtschaftsförderung hätten, will ihnen die Landesregierung derzeit nicht attestieren. Statt dessen sollen sie auf die medienpolitische Spielwiese der Offenen Kanäle (OK) abgedrängt werden, wo sich in Nordrhein -Westfalen ohnehin niemand tummeln mag. Aversionen gegen OK

Die Aversion gegen die als „Nischen-, Hobby und Freizeitfunk“ verschrienen Offenen Kanäle ist unter professionellen Medienmachern an Rhein und Ruhr offenkundig, sehr zum Leidwesen der sozialdemokratischen Medienpolitiker: „Es gab da eine konkrete Vision. Wir haben als Gesetzgeber die Türen für den OK ja nicht so weit geöffnet, damit er dann als Nischenfunk abgestempelt wird“, sagte Prodoehl arg wehmütig. Tatsächlich sind von den elf Millionen Mark, die die Landesanstalt für Rundfunk (LfR) in Nordrhein-Westfalen für die Offene Kanal-Arbeit bereits im laufenden Haushaltsjahr zur Verfügung gestellt hat, bislang gerade einmal 200.000 Mark abgerufen worden.

Für den Berliner Filmjournalisten Kraft Wetzel sind die Offenen Kanäle nichts anderes als eine „Endlagerstätte“ für nicht marktgängige Medienprodukte: „Die spielen dort jeden Scheiß, weil keine Sau diese Kanäle sehen will. Jeder Workshop, dessen Produkte nur die Offenen Kanäle erreichen, ist gescheitert“, erklärt Wetzel dem Rau-Berater Prodoehl, der nicht einmal ernsthaft widersprechen mochte: „Es müssen eben weitere Vertriebswege gefunden werden, von der Kneipe bis zum Sportverein.“ Mediale Zukunft

Nach dem Befund des Berliner Filmjournalisten Wetzel verfährt die Regierung Rau derzeit nach dem Motto: „Berlesconi und Leo Kirch gewinnen eh, was sollen wir da noch irgendwelche Workshops fördern?“ Die nordrhein -westfälische SPD-Landesregierung setzt in dem von Kohle und Stahlkrisen gebeutelten Bundesland längst auf die Medienindustrie im Großmaßstab - und schafft entsprechende Rahmenbedingungen. Wirtschaftsförderer Schöde macht daraus kein Geheimnis mehr: „Nordrhein-Westfalen bleibt kein Industrieland, es sei denn, es wird ein Filmland.“

Was im Fernsehen der neunziger Jahre marktgängig sein wird, weiß die Düsseldorfer Staatskanzlei schon ziemlich genau, wie deren Chef Wolfgang Clement jüngst auf den „Stendener Medientagen“ erläuterte: „Entsprechend wird im kommerziellen Fernsehen auch das politische Geschehen als ein Panoptikum unterhaltsamer Einzelereignisse präsentiert. Fernsehvermittelte Politik wird in 'Newsshows‘ zum konsumgerecht aufbereiteten Entertainment. Politische Nachrichten werden mit Human-interest-Meldungen vermischt und als buntes Kaleidoskop dargeboten.

Ob es den Video-Workshop-Gruppen vergönnt sein wird, die versprengten Mosaiksteinchen wieder in brauchbare Nachrichten zu verwandeln, darf angesichts solcher vollmundigen Prognosen wohl eher bezweifelt werden.

Johannes Nitschmann