Palme-Prozeß auf dem Weg zur Farce

Wichtige Belastungszeugen ziehen Aussage zurück / Gericht gewährt Lisbet Palme Sonderrechte Ausführungen werden nicht auf Band aufgezeichnet / Auftritt der Witwe des Ermordeten verschoben  ■  Aus Stockholm G. Pettersson

Der „Prozeß des Jahrhunderts“, durch den Licht in den Mord an Schwedens Regierungschef Olof Palme gebracht werden soll, ist auf dem besten Wege, zur „Farce des Jahrhunderts“ zu werden. Von der Anklageseite als extrem wichtig für die Wahrheitsfindung eingestufte Zeugen können sich an nichts mehr erinnern.

Die „Trumpfkarte“ der Anklage schließlich, Lisbet Palme, Frau des Ermordeten und die einzige, die den Mörder von Angesicht zu Angesicht sah, reizte nach Ansicht von vielen Beobachtern bereits vor der Zeugenvernehmung ihre Karten zu sehr aus. In einem Brief an das Gericht am Montag dieser Woche hatte sie insgesamt vier Auflagen in Zusammenhang mit ihrer für den gestrigen Mittwoch vorgesehenen Zeugenvernehmung verlangt, zu der sie dann allerdings nicht erschienen war. Abgesehen von dem Verbot von Ton- und Filmmitschnitten will sie sichergestellt wissen, daß sie im ersten Teil ihrer Aussage nicht in Anwesenheit des Angeklagten sprechen muß, die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen sein. Nach fast zweistündiger Beratung am Mittwoch morgen beschloß nun das Gericht, Lisbet Palme in einigen Punkten entgegenzukommen. Es werden keine Mitschnitte angefertigt, sondern nur stenografiert. Der Angeklagte wird beim ersten Teil der Vernehmung Lisbet Palmes nicht im Gerichtssaal sitzen, hat aber die Möglichkeit, Lisbet Palmes Aussage in einem Nebenraum zu verfolgen. Schließlich werden nur die Handvoll Journalisten, die im Gerichtssaal selbst einen Platz gefunden haben, der Zeugenaussage Lisbet Palmes folgen können.

Allen anderen, über hundert internationalen Pressevertretern, die in angrenzenden Räumen via Fernsehschirm dem Verfahren folgen, wird schlicht und ergreifend Bild und Ton abgedreht. Wann Lisbet Palme, deren Aussage als entscheidend für den Prozeßausgang angesehen wird, nun letztlich vor Gericht erscheinen und wann sie vor allem dem Angeklagten im Gerichtssaal gegenübertreten wird, ist seit gestern wieder offen.

Generell sind nach nur vier Verhandlungstagen - insgesamt sind rund 16 angesetzt - die ohnehin wackligen Beweise erneut entkräftet. Die Konstruktion der Anklage, mit den beiden Zeugen Ulf und Sven den Verdacht gegen den Angeklagten zu erhärten, fiel am Dienstag wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ulf, der sogenannte „Alibimann“, hatte in früheren Polizeiverhören ausgesagt, der des Mordes an Olof Palme angeklagte 42jährige Krister Pettersson sei irgendwann zwischen 0.20 und ein Uhr nachts in seine Wohnung zurückgekommen und damit das Alibi des Angeklagten widerlegt. Vor Gericht konnte sich Alibimann Ulf diese Woche plötzlich nicht mehr genau erinnern. „Jag är osäkert“ (ich bin unsicher) hört man regeläßig während seiner Zeugenaussage.

Konfrontiert mit seinen früheren Aussagen meint er, die beim Polizeiverhör hätten ihm was von den 50 Millionen Kronen Belohnung ins Ohr geflüstert, und da könnten die Gedanken schon etwas durcheinander kommen.

Wie Ulf und die meisten Zeugen der Anklage kommt auch Sven aus der Welt der Rauschgifthändler und bereits 1986 nach dem Mord hatte er der Polizei erste Hinweise auf den Angeklagten geliefert. Doch auch dieser Zeuge der Anklage wird rasch zum Joker für die Verteidigung und damit für den Angeklagten. Denn auch der 57jährige Sven leidet unter Erinnerungsschwäche - auch in bezug auf seine Aussage von 1987, in der er über eine Magnum-Pistole berichtete, zu der der Verdächtigte Zugang gehabt haben soll.

Keine Frage, der Angeklagte sammelt Punkt für Punkt in diesem Mordprozeß, in dem die Anklage jeden Tag mehr verliert. Noch am ersten Verhandlungstag hatte der Oberstaatsanwalt völlig ausgeschlossen, daß es noch eine andere Spur außer dem 42jährigen Angeklagten gebe.

Nach dem Fiasko der ersten Prozeßtage denken die zahlreich anwesenden ausländischen Journalisten laut darüber nach, ob „uns hier nicht irgendwie was vorgespielt werden soll, um die tatsächliche Spur total zu verwischen“. Und die tatsächliche Spur, so munkelt man noch immer in Schweden, könnte in rechtsextreme schwedische Polizeikreise oder auch in internationale politische Kreise hineinlaufen.