Tourismus-betr.: "Welche Freiheit", taz vom 3.6.89, Leserbriefe in der taz vom 12.6.89

betr.: „Welche Freiheit“,

taz vom 3.6.89, Leserbriefe in der taz vom 12.6.89

Klaut ihnen ihre Schlafsäcke, kann ich nur sagen, wenn ich die Leserbriefe lese. „Unserer heiligen Kuh Auto entspricht anderswo die überflüssige und menschenfeindliche Religion des Islam“. Ansonsten ist mann/frau anscheinend der Ansicht, am Kreuzberger Szenewesen soll die Welt genesen und fühlt sich dabei noch als Verfechter einer multikulturellen Gesellschaft. Für Euch scheint nach meiner Meinung eher zu gelten: Ich bin wie ich bin und mach was ich will, ob hier in der BRD oder anderswo.

Berthold

Es ist unglaublich, mit welchem ungeheuer abgehobenen intellektuellen Schwachsinn von allen BriefeschreiberInnen versucht wird, eigene Verhaltensmuster (die wohl, wie es scheint etwas mit Freiheit und Emanzipation zu tun haben wollen) mit typisch deutscher Gründlichkeit fremden Kulturen aufzudrücken, ohne aber diese Kulturkreise im entferntesten zu verstehen. (...) Wenn europäische Touristinnen mit dünnen T-Shirts und sauengen und kurzen Shorts in den türkischen Küstenstädten prominieren, dann tun sie das im Bewußtsein ihrer Macht, feste Familienstrukturen in kürzester Zeit zerstören zu können. (...)

Keiner soll mir erzählen, daß es nicht so ist. Und noch etwas: es wird immer vom „türkischen Mann“ geredet und geschrieben, meistens von deutschen Frauen und Männern. Das scheint auch eine der typischen Eigenarten von Menschen zu sein, die schlichtweg glauben, keine Vorurteile zu haben. Und das macht's ja einfacher, mit dem eigenen Standpunkt zu leben, auch wenn er noch so eng und beschränkt ist. Da ist der Rassismus oftmals auch nicht mehr weit.

Vergewaltigungen sind menschenverachtend; aber genauso menschenverachtend ist es, eine Kultur und die mit ihr gewachsenen Traditionen zu verachten. Sicher kann man sich über alles hinwegsetzen, aber doch auch nur, wenn man genügend Arroganz hat, das Bestehende soweit abzuqualifizieren, bis es keinen Wert mehr im Vergleich zu den eigenen Werten hat.

Zeigt her eure Titten und wackelt eure Ärsche durch die moslemischen Städte, mit denen ihr sowieso nichts zu tun habt, genauso wenig sie etwas mit euch zu tun haben wollen, solange ihr das nicht wollt! Vielen Dank für den Applaus.

Hendrick Müller-Lenhartz, Berlin 31

Weiter so! Der deutsche, aufgeklärte Mensch soll sich in der ganzen Welt ausziehen dürfen. Ihre Vorstellungen sind im Einklang mit der historischen Aufgabe der Deutschen, Kultur, Gesittung und Gesinnung in die Welt zu tragen. Es kann nur Aufgabe des kämpferischen deutschen Fortschrittsgeistes sein, schon morgen die ganze Welt genesen zu machen von Prüderie, Verklemmheit und jeder Art von Frömmelei. (...) Zeigen wir den Muselmännern und -frauen, was eine multikulturelle Gesellschaft ist. (...) Der kultivierte Mittel-Europäer hat die Wilden angezogen, jetzt gilt es, die Wilden wieder auszuziehen.

Der durchschnittliche Reisespießer soll nicht auf Sizilien ohne Wurstel con Crauti und Birra sein, der Fortschritts und Rucksack-Reisespießer hat das Recht auf seinen nackten Arsch, wo auch immer er sei. Die Überlegenheit deutscher Kutur garantiert es ihm.

Und noch was: Was wissen Sie, Herr Wagner, denn schon von den kulturellen und menschlichen Aspekten des Islam?

Hanno Wolf, Marburg

Nackheit galt in Europa einst als Barbarei und wurde mit außereuropäischer „Wildheit“ gleichgesetzt. Heute ist im Westen Ganz- und Teilausgezogensein zum Freiheits- und Emanzipationssymbol gestyled worden und wird - Ironie der Weltgeschichte - von westlichen TouristInnen missionarisch in die „Dritte Welt“ getragen. Dort schmunzeln manche über die neueste europäische Spinnerei, manche spüren in dieser Ich-bin-so-frei-Haltung mangelnde Achtung den Gastgeberinnen gegenüber und ärgern sich.

In Europa standen Natur und Ursprünglichkeit der Entwicklung doch mächtig im Weg. Also suchen die heutigen Euromenschen das Verlorengegangene und das Glück im Urlaub und außerhalb Europas. Eigentlich könnte erwartet werden, daß die Euros auf die ihnen gewährte Gastfreundschaft mit ein bißchen Dankbarkeit und Empathie antworten. Nichts dergleichen in den Briefen der taz-LeserInnen. Was voll Ekel gebrandmarkt wird, sind: „die überflüssige und menschenfeindliche Religion des Islam“, „chauvinistische islamische Machos“, die „eine kulturelle und menschliche Schande“ sind (H.Wagner), und „scheinheilige Kerle“ (Eva).

Immer drauf auf die Kulturen der anderen. Taz-LeserInnen, die kritische Avantgarde Europas, entdecken im Kulturenvergleich, daß das westliche System der Hort von Frauen-, Menschen- und Umweltfreundlichkeit ist, vor dem sich Nicht-WestlerInnen in ihre kulturelle Schande zu verkriechen haben. Aus drittweltlerischer Perspektive wirkt solch Abgrenzungspatriotismus seltsam, vor allen Dingen, da Frauenwürde, Demokratie und ökologische Moral hier auch bei intensivster Suche, kaum zu finden sind. (...) Ist europäischer Tourismus die Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln?

H.Umlungu, Hamburg