Rotbrigadisten entdämonisiert

Staatsanwalt in Italien fordert Freispruch vom Vorwurf des „bewaffneten Aufstands“  ■  Aus Rom Werner Raith

Mit dem Plädoyer, das Italiens Schlagzeilen belegt, hat der Staatsanwalt im letzten großen Rotbrigadisten-Prozeß für die 253 Angeklagten Freispruch vom Vorwurf des „bewaffneten Aufstands“ und der „Anzettelung eines Bürgerkriegs“ gefordert. Chefankläger Nitto Palma ist davon überzeugt, daß es „selbst in der heißesten Periode des 'bewaffneten Kampfes‘ der siebziger Jahre niemals eine Situation gab, die auch nur ansatzweise einen organisierten Aufruhr gezeitigt hat“. Mithin seien die angeklagten Brigadisten - vom BR -Gründer Renato Curcio über die Moro-Mörder um Mario Moretti bis zum Dozier-Entführer Giovanni Senzani und der als letzte des „Kerns“ festgenommenen Barbara Balzerani - nur wegen bestimmter Einzelverbrechen, nicht aber wegen umstürzlerischer Tätigkeit zu verurteilen.

Ins nichts zusammengesunken scheint so die Ende der siebziger Jahre in großer Einigkeit von Christdemokraten und Kommunisten aufgebaute These eines bevorstehenden Bürgerkriegs - in der Folge Motor für ein halbes hundert mächtiger Strafverschärfungen und der Einführung zahlreicher neuer Straftatbestände. So wurde selbst das unwissentliche Wohnungsgeben an sogenannte „Terroristen“ zum Delikt, insofern seitens des Inhabers keine Personalienfeststellung vorgenommen worden war; Mediziner, die verletzte Brigadisten zusammenflickten und nicht sofort auslieferten, wurden mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bedacht, das Post- und Fernmeldegeheimnis faktisch außer Kraft gesetzt. Die U-Haft konnte ohne abschließendes Urteil auf elf Jahre ausgedehnt werden - alles Maßnahmen, die nun nach der Feststellung des Staatsanwalts offenbar überwiegend Hirngespinsten Verfolgungswahn-geplagter Politiker entsprungen sind.

Stellungnahmen der für die Sondergesetze seinerzeit verantwortlichen Minister - darunter der heutige Staatspräsident Francesco Cossiga und Außenminister Giulio Andreotti - stehen bisher noch an.