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In Mompers Zug nach Pankow fehlte die AL

Berlins Bürgermeister Momper trifft sich heute mit DDR-Staatschef Honecker / Deutschlandpolitischer Kleinerfolg zum Ende der hunderttägigen Schonzeit / Koalitionspartner AL muß zu Hause bleiben / DDR-Gruppen hoffen vergeblich auf neue Dialogchance  ■  Aus Berlin Birgit Meding

So schnell kam bislang selten ein deutsch-deutsches Politikertreffen zustande. Während seine Amtsvorgänger wenigstens einige Dienstjahre warten mußten, hat es der neue Regierende Bürgermeister Berlins Walter Momper bereits nach einem knappen Vierteljahr geschafft: Gestern reiste er nach Pankow, wo er im DDR-Gästehaus Schloß Niederschönhausen nach Weizsäcker (1982) und Diepgen (1988) von DDR-Staats- und Parteichef Honecker empfangen wurde.

Das Ende der 100tägigen Schonzeit wollte Momper mangels innenpolitisch Spektakulärem wenigstens mit einem deutschlandpolitischen Kleinerfolg krönen: Künftig wird für die Westberliner Inhaber eines Mehrfachberechtigungsscheins das Visum direkt am Grenzübergang ausgestellt. Bonbon für Reiselustige: Der Zweitagesaufenthalt für Westberliner, bislang auf die Hauptstadt beschränkt, ist ab 1. August 1989 auch in den Bezirken Potsdam und Frankfurt/Oder möglich. Auch Hunde dürfen künftig mit nach „drüben“.

„Die DDR hat durchaus ein Interesse daran, daß dieser rot -grüne Senat im Bereich Deutschland- und Berlin-Politik Erfolge vorzuweisen hat“, begründet der deutschlandpolitische Sprecher der AL-Fraktion, Albert Statz, den schnellen Besuch. „Schließlich wollen wir in viel stärkerem Maße, als das bislang in der offiziellen Politik West-Berlins der Fall war, eigene Handlungsmöglichkeiten ausloten und die Besonderheit West-Berlins als Chance begreifen.“ In der Koalitionsvereinbarung finden sich denn auch primär pragmatisch orientierte Formulierungen, die konservativen Deutschlandpolitikern deutliches Unbehagen bereiten: „Es gilt bei fortwährender Zweistaatlichkeit so viel an Zusammenarbeit wie möglich zu schaffen“ - eine Formulierung, die sich auch in Mompers Presseerklärung findet. Die Perspektive einer Wiedervereinigung wird erst gar nicht erwähnt.

Doch schon die Vorbereitung zum gestrigen Treffen zeigte, daß sich der Senat allzuviel Unbefangenheit und Eigenständigkeit nicht leisten konnte - oder wollte? Allein um die offizielle Bekanntgabe des Reisetermins hatte es im Vorfeld ein wochenlanges Gezerre mit den Medien gegeben. Bis an die Grenze der Lächerlichkeit hatte man sich zu bestätigen geweigert, was Bundessenatorin Pfarr längst öffentlich ausgeplaudert hatte.

Noch unbegreiflicher allerdings als die Geheimhaltungsfarce im Vorfeld war die Tatsache, daß Momper ohne seinen alternativen Koalitionspartner nach Pankow reiste offensichtlich ein Entgegenkommen gegenüber der SED, die sich mit den Alternativen nach wie vor schwertut. „Die kleine Besetzung“ sei „bislang immer üblich“ gewesen, hieß es aus dem Rathaus - nicht gerade eine originelle Argumentation für einen Senat, der neue Akzente zu setzen versprochen hat. Außerdem, so war zu hören, habe es sich um keine Regierungsdelegation, sondern lediglich um ein „direktes Treffen zweier Politiker“ gehandelt. Eine Delegation, die über das schon bei Diepgen und Weizsäcker übliche Maß hinausgehe, so die Befürchtung, hätte Statusprobleme aufgeworfen. Daß die nicht aufkamen, darauf hatten insbesondere die Bundesregierung und die westlichen Alliierten gedrungen.

Die exklusive Delegation stieß - kaum überraschend - vor allem bei der AL-Basis auf Kritik. Die alternativen Rathaus -Parlamentarier hätten sich „ausgrenzen lassen“ und nicht genügend für eine Mitreise gekämpft, monierte die Arbeitsgruppe „Berlin- und Deutschlandpolitik“. Nach London und Washington sei schließlich auch die AL-Umweltsenatorin mitgefahren. Warum sie jetzt zu Hause bleibe, obwohl der Behandlung von Umweltfragen gerade mit der DDR herausragende Bedeutung für die Stadt zukomme, sei kaum einzusehen.

In der Rathaus-Fraktion konnte man die Vorwürfe zwar nachvollziehen, wollte aber beim ersten Besuch nicht gleich auf den Putz hauen. So hatte sich die AL lediglich mit einer Wunschliste an der Momper-Reise beteiligt. Ganz oben standen da Themen wie Einreise- und Transitverbote, die bislang verbotene Mitnahme von Fahrrädern, die der AL-Klientel besonders am Herzen liegt, oder intensivere Kooperationen im Umweltbereich. Doch auch nach Mompers Visite bleiben Fahrradtouristen tabu. Im Umweltbereich gibt es weiterhin nur Absichtserklärungen.

Der Momper-Besuch, weckte Hoffnungen auch jenseits der offiziellen Ebene. Denn die Umweltgruppen aus Ost-Berlin begreifen insbesondere die Regierungsbeteiligung der AL als Signal, beim offiziellen Dialog nicht weiter ausgegrenzt zu werden; so hatten sie den Westberliner Regierungschef zu einer Stippvisite in die „Umweltbibliothek“ eingeladen, ein alternatives Öko- und Kommunikationszentrum im Prenzlauer Berg. Bei der Einladung konnten sich die Hauptstadt-Ökologen insbesondere auf die Koalitionsvereinbarung berufen. „Darin steht immerhin, daß der Dialog mit der DDR nicht nur auf der staatlichen Ebene, sondern mit allen gesellschaftlichen Gruppen geführt werden soll“, erklärt Siegbert Scheffke von der Umweltbibliothek. „Allein mit der DDR-Staatsführung zu parlieren, die die blutige Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung gutheißt“, trage nicht zur Glaubwürdigkeit des rot-grünen Senats bei.

Doch nachdem die AL schon - ohne großes Murren - zu Hause geblieben war, überraschte es kaum, daß Momper auch die zweite Nagelprobe umging. Der Überraschungsbesuch in der „UB“ und die damit verbundene Aufwertung unabhängiger Aktivitäten in der DDR fand nicht statt. Daran wäre, aller Voraussicht nach, die ganze Visite geplatzt. Dennoch, Mompers vorauseilende Bereitschaft, seinen Besuch im bislang üblichen Rahmen durchzuziehen und den Vorstellungen der DDR -Führung wie der Westalliierten gleichermaßen zu entsprechen, holen all diejenigen auf den Boden der Realität zurück, die vom rot-grünen Senat neue, unkonventionelle Initiativen in der Berlin- und Deutschlandpolitik erhofft haben.

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