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„Schlummernde HIV-Infektionen sind die Ausnahme“

Dr. Moon H. Lee vom Harbor Medical Center in Los Angeles, Kalifornien, über „schlummernde“ Aids-Viren, die bei herkömmlichen Tests nicht nachgewiesen werden konnten / „Es erhärtet sich der Verdacht, daß diese Personen das Virus dauerhaft unter Kontrolle halten können“  ■ I N T E R V I E W

Ein Wissenschaftlerteam der California University in Los Angeles hat, wie mehrfach berichtet, mit einer Studie über „schlummernde“ HIV-Infektionen Aufsehen erregt. Über den Direktnachweis durch die Anzucht von Viren aus dem Blut von Untersuchungspersonen fand das Team heraus, daß 31 von 133 untersuchten promisken Schwulen geringe Virusmengen in sich trugen, obwohl die klassischen HIV-Tests negativ verliefen. Unsere Korrespondentin sprach mit einem Wissenschaftler aus dem Forschungsteam von David Imagawa.

taz: Ihre Arbeit über „schlummernde“ Aidsinfektionen hat in den USA und auch in Europa Experten und Beobachter beunruhigt. Wie interpretieren Sie Ihre Resultate?

Lee: Es gibt keinen Grund, jetzt weite Bevölkerungskreise zu beunruhigen. Unsere Studie befaßt sich mit einer kleinen Bevölkerungsminderheit promisk lebender Homosexueller. Studien mit anderen Bevölkerungsgruppen zeigen, daß „schlummernde“ Infektionen eine Ausnahme sind. Bei Fixern, Heterosexuellen und Transfusionsempfängern sind „schlummernde“ Infektionen im allgemeinen nicht gefunden worden. Wahrscheinlich liegt das an der unterschiedlichen Art und Weise, wie es zu der Infektion kam. Die Menge des übertragenen Virus und die Art der ursprünglich infizierten Zellen und deren Lage im Körper ist beim Geschlechtsverkehr zwischen Homosexuellen anders als bei Fixern und Transfusionsempfängern. Dies scheint den weiteren Infektionsverlauf zu bestimmen.

Bei 31 Ihrer Versuchspersonen konnten Sie das HIV-Virus nachweisen. Die üblichen Tests, mit denen Antikörper gegen das Virus im Blut nachgewiesen werden (Elisa und Western -Blot), waren bei diesen Versuchspersonen aber negativ. Erst Jahre später entwickelten sich bei vier der 31 Personen Antikörper, die mit den klassischen HIV-Tests nachgewiesen werden konnten. Heißt das, daß die Zeit zwischen Ansteckung und Antikörperbildung viel länger ist als bisher angenommen?

Ich glaube nicht. Wir sind eher der Meinung, daß nicht unbedingt alle Infektionen zur Antikörperbildung, geschweige denn zu Krankheitssymptomen führen. Möglicherweise kann das Virus auf Dauer in einem Ruhestand im menschlichen Organismus existieren, und erst wenn es zu wiederholten Ansteckungen kommt, werden Antikörper gebildet, und die Krankheit nimmt ihren Lauf. Dies ist jedoch nur eine Vermutung. Wir wissen nicht, warum es bei unseren vier Versuchspersonen zu einem späteren Zeitpunkt dann doch zur Bildung von Antikörpern kam. Ob die „schlummernden“ Viren in eine aktive Phase übergingen oder ob die Antikörperbildung eine Reaktion auf Neuinfektionen war, ist ungeklärt.

Nehmen wir die zweite Möglichkeit an. Dann wäre Ihr Ergebnis doch sehr positiv. Der Körper hält das Virus in Schach! Das heißt, man kann mit dem Aidsvirus leben?

Ja. Je länger unsere 33 Versuchspersonen, bei denen wir das Virus nachwiesen, keine Antikörper entwickeln, desto positiver ist das. Um so mehr erhärtet sich der Verdacht, daß diese Personen das Virus auf Dauer sicher unter Kontrolle halten und es sich nicht um eine extrem lange Latenzzeit zwischen Infektion und Antikörper-Entwicklung handelt. Die Bedeutung für die Aids-Medizin ist enorm. Wir können nun versuchen, die natürliche Fähigkeit des Körpers, das Virus unter Kontrolle zu halten, durch Medikamente zu stärken. In unserer Forschung sind wir zum Beispiel auf bestimmte weiße Blutzellen gestoßen, die CD8-Zellen, die möglicherweise eine bisher unerkannte Rolle in der Unterdrückung des Virus spielen.

Was bedeutet das für die Ansteckungsgefahr? Sie schreiben in Ihrer Arbeit, daß Sie nicht wissen, ob die „schlummernden“ Infektionen ansteckend sind.

Es ist gut möglich, daß die Virusmenge „nicht“ ausreicht, um andere Personen anzustecken. Es gibt auch bei anderen Virus-Krankheiten bestimmte Schwellenwerte, das heißt Viruskonzentrationen, die für eine Ansteckung notwendig sind.

Gibt es für Empfänger von Blutspenden keinen Anlaß, besorgt zu sein? Müssen wir nicht befürchten, daß manche negativ getesteten Blutspender in Wahrheit positiv sind?

Wir können von unseren Versuchspersonen nicht auf die breite Bevölkerung schließen. Promisk lebende Homosexuelle, mit denen wir es in unserer Arbeit zu tun haben, werden angehalten, kein Blut zu spenden. Außerdem ist es gut möglich, daß Personen mit „schlummernden“ Infektionen andere nicht via Blutspende infizieren können. Sicherlich ist es sinnvoll, in Zukunft für die Untersuchung von Blutspendern nicht nur die klassischen HIV-Antikörpernachweise zu verwenden, sondern Tests wie den PCR-Test, die das HIV-Virus selbst direkt nachweisen können, ohne den Umweg über Antikörper.

Sie betonen immer wieder, daß sich Ihre Arbeit mit einer kleinen Bevölkerungsminderheit befaßt. Was hat das spezifische Sexualverhalten dieser Individuen mit den Versuchsergebnissen zu tun?

Es ist zum Beispiel möglich, daß promiske Homosexuelle wegen ihrer häufigen Exposition spezifische Mechanismen entwickeln, mit denen sie das Virus unter Kontrolle halten. Möglicherweise sind sie mit bestimmten mutierten Viren infiziert, die unfähig sind, sich fortzupflanzen. Nur in weiteren Studien mit den verschiedensten Bevölkerungskreisen können wir feststellen, ob unsere Resultate auch für andere Gruppen als promisk lebende Homosexuelle gelten.

Silvia Sanides

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