Senat und Zollrecht

Ein langes Tauziehen ist zuende. Polizei und der Zoll werden in den nächsten Tagen und Wochen dafür sorgen, daß Polen, die in Berlin ihre Waren verkaufen wollen, erst gar nicht in die Stadt kommen, oder wieder vertrieben werden. Noch vor einer Woche hatte der Senat Überlegungen angestellt, den Krempelmarkt zu legalisieren. Ein Gelände war bereits in Aussicht genommen nd der Betreiber des regulären Flohmarktes wollte die Tärgerschaft übernehmen. Doch jetzt ständen dem „zollrechtliche Bedenken“ entgegen, erklärte Wirtschaftssenator Mitzscherling. Ein ausgewiesenes Gelände käme einer Freihandelszone gleich, und die sei nach EG-Recht nicht erlaubt.

Der Zoll müsse, wenn es ein solches Gelände gebe, die einreisenden Polen nicht mehr als Touristen kontrollieren, sondern, wenn diese mit einer größeren Menge Waren einreisen, annehmen, daß die für den Verkauf bestimmt seien. Dann aber müßte jeder Gegenstand einzeln verzollt werden. Eine Maßnahme, die die Behörden überfordern würde. Bislang habe man „alle Hühneraugen zugedrückt“, so gestern der Sprecher der Wirtschaftsverwaltung. Das sei in Zukunft nicht mehr möglich.

Ob nun aber dieser rechtliche Hebel der ausschlaggebende Grund für das Verbot war, ist zu bezweifeln. Anhaltende Proteste von Wirtschaftsverbänden und der Industrie- und Handelskammer haben die Politiker unter Druck gesetzt. Außerdem fürchtet der Senat die zunehmenden Ressentiments, die den Polen angeblich aus der Berliner Bevölkerung entgegengebracht würden. Man müsse auch an die mehreren hundert in Berlin ansässigen polnischen Wirtschaftsbetriebe denken, die darunter zu leiden hätten, begründete gestern der Sprecher der Wirtschaftsverwaltung die Einschränkung des polnischen Handels.

Ob es diese Ressentiments tatsächlich gibt - das lebhafte Interesse, das der Markt bei der Berliner Bevölkerung hervorgerufen hat, läßt das bezweifeln. Scharf allerdings kamen die Angriffe von seiten der CDU, die, noch an der Regierung, den Markt bereits von seinem ersten Standort vertrieben hatte. Gestört fühlten sich auch die BesucherInnen und Mitarbeiter von Nationalgalerie, Staatsbibliothek und Philharmonie. Ihre Toiletten und Waschgelegenheiten wurden mangels öffentlicher Gelegenheit von Besuchern und Händlern benutzt. Schnell also war das öffentliche und auch von den Medien so veröffentlichte Urteil gesprochen: Der Markt ist dreckig. Die einfache Lösung, viele Müllcontainer und Toilettenwagen aufzustellen, wurde nie probiert.

Offenbar wollte der Berliner Senat mit dem Verbot des Krempelmarktes auch der polnischen Regierung einen Gefallen tun. Der Wirtschaftssenator jedenfalls machte keinen Hehl daraus, daß die Maßnahmen des Senats mit der polnischen Regierung abgestimmt sind. Die zunehmende „Kommerzialisierung“ des Handels - teilweise sei fabrikneu verpackte Kinderkleidung verkauft worden - bringe „ernste Probleme“ für die Versorgungslage in Polen mit sich. Das könne eine Regierung, die den Entspannungsprozeß in den Ostblockländern unterstütze, nicht unberücksichtigt lassen, heißt es aus der Wirtschaftsverwaltung.

Für viele Polen, die nach der Lockerung der Visabestimmungen und mit der Verlockung, einige Zloty verdienen zu können, den Ost-West-Dialog praktisch geführt haben, wird jetzt der Anreiz, nach Berlin zu kommen, wegfallen. Die kommerziellen Händler trifft das genauso wie diejenigen, die mit Trödel und ein paar Habseligkeiten gekommen sind. Wer doch anreist und handelt, muß damit rechnen, ausgewiesen zu werden.

Monatelang hatte der Senat Liberalität den polnischen Handelstouristen gegenüber propagiert - die harte Verbotsentscheidung sei „schwergefallen“, sagte Wirschaftssenator Mitzscherling. Streit hatte es auch zwischen den Koalitionsparteien SPD und AL darüber gegeben, allerdings keinen ernsthaften Konflikt. In den Fraktionssitzungen beider Parteien am Nachmittag nach der Senatssitzung war die Entscheidung lediglich zur Kenntnis genommen worden. Der Regierende Bürgermeister Momper selbst hatte bei seiner Partei um Verständnis für den Rausschmiß der Polen geworben.

Was jetzt konkret passieren soll, weiß allerdings niemand so recht. Bei der Polizei sind keine Einsatzpläne bekannt. „Wir verfahren wie bisher“, sagte gestern Polizeisprecher Glaser und zeigte sich insbesondere verwundert über die Absicht des Senats, den Platz vor der Philharmonie nur für Polen sperren zu lassen. Dafür sehe er keine rechtliche Möglichkeit. Der Senat hofft letztlich auf den Abschreckungseffekt. Man hoffe, daß es sich auch in Polen herumsprechen werde, daß der Handel nicht mehr zulässig sei, meint der Wirtschaftssenator und glaubt, daß die Menschen dann gar nicht mehr kommen - um zu handeln, selbstverständlich. Denn als Touristen seien sie weiterhin „herzlich willkommen.

Brigitte Fehrle