Zurück in die Vergangenheit

■ Amerikas Linke feierte Abbie Hoffman

Ich weiß eigentlich gar nicht, wer sie ist“, gestand Valerie, 22 und Barfrau im Palladium, auf die Frage, was sie denn über Abbie Hoffman wüßte.

Mehr Klarheit bestand da ganz offensichtlich unter den mehr als 3.000 Besuchern des „Abbie Hoffman tribute“ am vergangenen Wochenende in New Yorks „Lower East Side„ -Nobeldisco Palladium. Angesagt war die wohl größte und wichtigste Reunion alter 68er Aktivisten, Radikale, wie sie sich hier selber gerne nennen. Es galt, die bis zum Ende unangefochtene Führerfigur der US-amerikanischen Altlinken, Abbie Hoffmann, den Gründer der Yippie-Bewegung, der „Youth International Party“ zu feiern und zu verabschieden.

Hoffman, noch als 52jähriger ein unermüdlicher, aktiver Kämpfer gegen borniertes Establishment und Yuppietum, starb am 12.4.89 an einer Überdosis Antidepressiva in seinem Apartment im US-Bundesstaat Pennsylvania. Wie populär Abbie Hoffman gewesen sein mußte, wurde uns spätestens beim Anblick der wartenden Menschenschlange über immerhin zwei Straßenblocks klar. Während sich die Schlange, umkreist von Flugblattverteilern, Kamerateams und T-Shirt-Verkäufern langsam ins Innere bewegte, haben nicht nur wir uns gefragt: Warum das Palladium? Eine von New Yorks größten und teuersten Discos mit einer zugegeben atemberaubenden Innenwelt und Amerikas Linke, wie geht das zusammen? Die Antwort ahnten wir später: Die Amerikaner lieben es nun mal multimedial. Das Palladium bietet gleich vier Monitor- und Großbildleinwände, eine Bühne mit Sound- und Lichtanlage und mehrere Bars für das leibliche Wohl. So haben wir also gelernt, daß auch ein „Memorial“ eine richtige Show sein kann. Filmeinblendungen von Abbies Auftritten - über 50! Kurzbeiträge von Freunden, Verwandten und Mitkämpfern, Musikeinlagen, besinnlich bis fetzig und alles unter dem Motto: No regrets - Ohne Bedauern.

Die Show versammelte kulturelle und politische Größen der späten Sechziger wie Allen Ginsberg, Tuli Kupferberg, Ed Sanders und die Fugs, Peter (Paul & Mary) Yarrow, Daniel Ellsberg (Die Pentagon-Papiere) und viele mehr. In ihren Beiträgen unter bunten Spotlights beschworen sie einmütig die gute alte Zeit und ihre Liebe für Abbie. Es war schwer, sich dem Eindruck zu entziehen, daß für die meisten, die sich hier versammelt hatten, die 60er offenbar nie zu Ende gehen sollen.

Für Bobby Seale, wie Abbie Mitglied der legendären Chicago Seven, die wegen Aufruhranstiftung 1968 unter Anklage standen, war Hoffman „ein wilder Typ“. Seale selbst verkaufte an diesem Tag im Palladium sein neuestes Buch Barbeque mit Bobby. Jerry Rubin, Hoffmans engster Mitstreiter in den alten Yippie-Zeiten, war in der Menge nicht auszumachen. Er soll heute Parties für die New Yorker Yuppie-Szene in Manhattans Nachtclubs ausrichten.

Wie wir hatte auch die Delegation von drei alten Ladies die gemütlichen Sitzecken im Hintergrund den unbequemen Stühlen am Bühnenrand vorgezogen und entging damit dem peinlichen Abklatsch phantasievoller Yippieaktionen vergangener Zeiten. Mit braunen Papptüten über den Köpfen durfte die versammelte Menge laute Furzgeräusche machen, um anschließend die Tüten mit Getöse zu zerdeppern. Hoffman, der vor 20 Jahren das Schwein Pigasus ins Rennen um die amerikanische Präsidentschaft gebracht hatte und die Gier der Wallstreet -Broker dadurch bloßstellte, daß er Geldscheine auf das Börsenparkett warf, hätte wohl nur ein müdes Lächeln für die Peinlichkeiten, die sich da unter seinem Bild abspielten, übrig gehabt.

An diesem Nachmittag hatte die versammelte „Linke“ bis auf die Vergangenheit nur wenig zu bieten. Die Gründung einer Organisation nach dem Muster „David gegen Goliath“ für den Kampf der kleinen Leute im Kampf gegen Institutionen fand unter ferner liefen statt. Keine Spur von Perspektiven, Vorstellungen oder Plänen für eine politische Zukunft.

Für viele von Hoffmans Vertrauten, die man nach seinem Tod befragte, war die Perspektivlosigkeit der Linken mit ein wichtiger Grund für seinen Selbstmord. Im Palladium wurde daran kein Gedanke verschwendet.

Tom Buttler