Der Wahn des „weißen“ Mauretanien

Nach den Aprilmassakern im Senegal und in Mauretanien werden schwarzafrikanische MauretanierInnen von der eigenen Regierung aus ihrer Heimat vertrieben / „Weiße“ Mauren verteidigen unter allen Umständen ihre historische Dominanz  ■  Aus Dakar Knut Pedersen

Die Pirogen sind lange schon hoch auf die Ufer des Senegalflusses gezogen worden, niemand fährt mehr aus. Dort, wo vor Wochen noch emsiges Handeln und buntes Treiben die Realität einer Staatsgrenze vergessen ließ, erdrückt die lastende Hitze eine nunmehr unheimliche Stille. Von der senegalesischen Seite aus kann man die Grenzposten der mauretanischen Armee mit bloßem Auge erkennen. „Neulich haben sie über den Fluß hinweg unsere Ziegen abgeschossen“, erzählt ein Einwohner des kleinen Dorfes Dara Halaybe, „es ist ein Wunder, daß niemand verletzt wurde.“ Aber das wirkliche Drama wiederholt sich jede Nacht: Dutzende, manchmal Hunderte von schwarzafrikanischen MauretanierInnen werden über den Fluß ins Exil getrieben. Seit Anfang Mai sind nach Angaben der im Senegaltal tätigen Hilfsorganisationen 45.000 MauretanierInnen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Ausnahmslos schwarze MauretanierInnen, die nunmehr auf dem senegalesischen Ufer unter armseligen Reisighütten ihre Verzweiflung ausbrüten. „Die Polizei hat uns aus unserem Dorf in die Provinzhauptstadt Boghe gebracht. In einem großen Saal haben wir uns alle ausziehen müssen. Alles, was irgendeinen Wert besitzt, hat man uns abgenommen. Den Frauen sind die Ohrringe einfach abgerissen worden. Dann hat man uns ans Flußufer getrieben. „Schwimmt rüber und laßt euch nie wieder hier blicken“, haben sie uns befohlen.

Die Schilderungen gleichen sich und beschreiben den erzwungenen Exodus der schwarzafrikanischen MauretanierInnen, die seit Jahrhunderten als seßhafte Bäuerinnen hier im Flußtal leben. Bedenklicher noch als die Habgier der mauretanischen Polizisten und Zöllner ist ihr systematischer Wille, die „Nationalität“ der Vertriebenen zu zerstören. Jeglicher Identitätsbeweis, vom Paß über Geburtsurkunden und selbst Studienbücher, wird konfisziert, zerrissen oder verbrannt. „Die haben uns für immer aus dem Land verstoßen“, klagt ein alter Mann, der nach eigenen Angaben „nie woanders als in Mauretanien“ gelebt hat.

Der Konflikt zwischen den beiden westafrikanischen Nachbarstaaten und ehemaligen französischen Kolonien Senegal und Mauretanien dauert nun schon fast ein Jahr und hat in den Massakern im April - diesseits und jenseits des Senegalflusses - lediglich seinen mörderischen Höhepunkt erreicht. Worum es unter dem Anschein fremdenfeindlicher Intoleranz wirklich geht? Zum einen um das nunmehr fruchtbare Land im Flußtal, dessen ganzjährige Bewässerung möglich geworden ist dank der Stauwerke in Manantali, flußaufwärts in Mali, und in Diama an der Flußmündung. Die traditionelle Landwirtschaft, die während der kurzen Flutperiode dem kargen Boden eine spärliche Ernte abrang, soll nunmehr dem „Agrobusineß“ weichen. Aber Geld für die notwendigen Investitionen haben nur die Händler in den großen Städten - und der Staat.

Im Senegal ist der Konflikt bereits brisant, aber im rassisch polarisierten Mauretanien unweigerlich explosiv. Handel, Kapital und Staatsapparat sind hier fest in den Händen der weißen Mauren - ehemals nomadisierende Beydan -Araber, die unter keinen Umständen ihre geschichtliche Dominanz als „Herren der Wüste“ an die - schwarzen „SklavInnen der Erde“ abtreten wollen. Mit bitterer Ironie haben Historiker der Kolonialzeit Mauretanien als „den größten Strand Afrikas“ beschrieben. Außer endlosem Sand gibt es hier nur Eisenerz, das kaum mehr rentabel abgebaut werden kann, und Fische entlang der Küste, die von (spanischen, koreanischen und sowjetischen) „schwimmenden Fabriken“ dezimiert worden sind. Bleibt die Landwirtschaft im nunmehr grünenden Tal des Senegalflusses - vorausgesetzt, die herrschenden Beydan können sich der schwarzafrikanischen FlußanrainerInnen entledigen.

Unter dem Druck der chauvinistisch-panarabischen „Nasseristen“, die nunmehr in Nouakchott das politische Kommando übernommen haben, ist solch wahnwitzige Politik der Vertreibung in Gang gekommen. Ein Teil der mauretanischen Bevölkerung wird über den Fluß für immer aus dem Land getrieben...