Schläge, Scheinexekutionen, Tod

■ 83 Frauen stehen auf der Todesliste der Machthaber im Iran / Viele weigerten sich, „Geständnisse“ abzulegen und zu denunzieren / Verfolgung aufgrund des Geschlechts in der Bundesrepublik als Asylgrund nicht anerkannt

Mitten in der Nacht holten sie Fariba aus der Zelle und führten sie hinaus in die Dunkelheit. „Zur Hinrichtung“, hieß es. Lange mußte sie warten, aber nichts geschah. Dann plötzlich sagten sie: „Dieses Mal verzeihen wir dir noch, das nächste Mal aber bist du dran.“

Noch heute fällt es Fariba schwer, über ihre Haftzeit zu sprechen (siehe Kasten). Dennoch erscheint ihr Schicksal vergleichsweise beinahe „mild“, kam sie doch mit dem Leben davon, saß „nur“ ein Jahr im berüchtigten Teheraner Evin -Gefängnis.

Mehr als 1.200 politische Gefangene wurden dort seit Sommer letzten Jahres ermordet, berichtete amnesty international im Februar. Nun stehen 83 Frauen auf der Todesliste, eine Fatehmeh Moddares Tehrani - soll bereits hingerichtet worden sein. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß die neuen Machthaber nach Chomeini Milde walten lassen. Ein großer Teil der Gefangenen ist „rechtmäßig“ zu hohen Strafen verurteilt; einige haben ihre Strafe bereits verbüßt. Dennoch droht ihnen der Tod, weil sie sich weigern, „Reuebekenntnisse“ abzulegen, wohlwissend, daß sie damit in eine Maschinerie geraten, aus der es keinen Ausweg gibt: Wer sich „reuig“ zeigt, weil die ständigen Beschimpfungen, Schläge, Scheinexekutionen nicht länger zu ertragen sind, muß zunächst fünfmal täglich an den Gebetsstunden teilnehmen und laut bekennen, eine Gesetzesbrecherin und Ungläubige gewesen zu sein. Sie muß Parolen gegen oppositionelle Organisationen brüllen. Viele „Geständnisse“ werden auf Video aufgenommen und im Fernsehen gesendet.

Ein weiterer Schritt ist Denunziation von GenossInnen, Bekannten, FreundInnen und Verwandten. Die Gefangenen werden gezwungen, in jenen berüchtigten gelben Toyotas mitzufahren, mit denen die „Revolutionswächter“ zu Tausenden Jagd auf alle „unislamischen Elemente“ machen. Vom Auto aus müssen sie bekannte Gesichter identifizieren. Und wenn sie bei diesen Spitzeldiensten nicht mittun, ist das der Beweis dafür, daß ihre Reue geheuchelt ist. Teil des Bekenntnisses kann auch eine aktive Beteiligung bei Folterungen und Hinrichtungen sein. Und trotzdem ist all dies keine Garantie dafür zu überleben und aus dem Knast entlassen zu werden. Wer herauskommt, ist meist ein seelisches Wrack. „Diese Menschen sind draußen zu nichts mehr zu gebrauchen“, sagt Nassrin. „Sie sind so gut wie tot, denn ihre Identität ist zerbrochen.“

Nassrin konnte sich durch Flucht der eigenen Verhaftung entziehen. Sie lebt in West-Berlin - zum zweiten Mal im Exil. Das erste Mal floh sie in der Schah-Zeit. Zusammen mit anderen Exil-Iranerinnen gründete sie vor kurzer Zeit das „Provisorische Frauenkomitee gegen die Hinrichtungen im Iran“. Sie wollen verhindern, daß die 83 Todeskandidatinnen im Evin-Gefängnis ermordet werden. Das Komitee macht Öffentlichkeitsarbeit und sammelt Unterschriften für einen offenen Brief an die Bundesregierung, in dem für die bedrohten Frauen in der Bundesrepublik Asyl gefordert wird. Der Westberliner Senat hat eine Aufnahme zugesagt, vorausgesetzt, die Bundesregierung stimmt dem Gesuch zu. Mehr als eine Geste kann das allerdings nicht sein, denn es besteht wenig Hoffnung, daß Teheran die Frauen freigibt. Nur zehn sind namentlich bekannt, weil ihre Angehörigen sich an die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international (ai) gewandt haben. Viele Familien haben Angst, die Namen ihrer Verwandten preiszugeben. Sie fürchten, ihnen und sich selbst zu schaden. Sie versuchen zunächst, mit Bestechungsgeldern die Gefangenen freizukaufen oder vor der Todesstrafe zu retten. Sie zahlen Unsummen, verkaufen Häuser, Hab und Gut. Erst wenn das alles nichts nützt, schreiben sie an ai.

Die Gründerinnen des Frauenkomitees ordnen sich unterschiedlichen politischen Richtungen zu. Alle haben FreundInnen oder Verwandte bereits verloren oder im Gefängnis. Sie selbst mußten unter dramatischen Umständen aus dem Land fliehen. Einige waren, wie Fariba, selbst inhaftiert. Die Schwester von Afsane saß monatelang in Einzelhaft und durfte über ein Jahr lang keinen Besuch bekommen. Sie wurde zu sieben Jahren verurteilt; sechs hat sie bereits verbüßt. Eigentlich müßte sie nächstes Jahr freikommen, aber oft werden die Strafen willkürlich verlängert oder die Gefangenen hingerichtet. Afsane hat von zu Hause keine Nachricht, ist aber „zu 99 Prozent sicher“, daß ihre Schwester zu den 83 Todeskandidatinnen gehört. Ihr Name wurde schon vor einiger Zeit von ai veröffentlicht. Schwester und Schwager

als Geisel

Nastaran ist hochschwanger, als ihr Mann verhaftet wird. Zunächst nimmt sie ihre eigene Gefährdung nicht so ernst. Dann aber wird das Haus ihrer Eltern und ihrer Geschwister durchsucht, Schwester und Schwager „als Geiseln“ festgenommen und zu einem beziehungsweise zweieinhalb Jahren verurteilt. Sie taucht fürs erste bei einer ehemaligen Schulfreundin unter. Doch das Versteck erweist sich als unsicher, und einige Tage vor der Niederkunft steht sie auf der Straße. Tagsüber fährt sie ziellos mit dem Bus durch die Stadt, abends bittet sie in einem der städtischen Krankenhäuser um Notaufnahme. Sie täuscht Wehen vor und behauptet, von außerhalb zu kommen und keine Verwandten in der Stadt zu haben. Eine Frau, die ohne Begleitung durch die Gegend zieht, ist im Iran so ungewöhnlich, daß man ihr nicht glaubt, sie für eine ledige Mutter hält und als Hure beschimpft. Nastaran bekommt ihr Kind mit Kaiserschnitt. Zwei Tage nach der Operation verläßt sie fluchtartig das Krankenhaus, weil die Revolutionswächter hinter ihr her sind. Wieder versteckt sie sich bei einer Freundin. Sie will den Iran nicht verlassen, weil ihr die Flucht wie ein Verrat an ihrem inhaftierten Mann erscheint. Doch schließlich kann sie nicht länger bleiben und muß mit ihrem 40 Tage alten Säugling fliehen. Wie viele Tausende vor ihr wendet sie sich an „Schlepper“, die sie auf geheimen Wegen über das Gebirge in die Türkei führen. Es ist Winter, kalt und verschneit. Tagelang muß Nastaran auf einem Pferd reiten. Wenn sie die Schmerzen an der Operationsnarbe nicht mehr erträgt, steigt sie ab und läuft zu Fuß. Sie hat weder geeignete Schuhe noch warme Kleidung dabei und fürchtet ständig, ihr Kind müsse sterben. Nach drei Tagen erreichen sie die Türkei, und eine Woche später kann sie bereits nach Berlin-Schönefeld fliegen, von wo aus sie noch problemlos nach West-Berlin gelangte. Was sie dort erwartete, das Leben als Asylbewerberin, ist ein anderes trauriges Kapitel. Nastaran hatte dennoch „Glück“. Bekanntlich hat die DDR Ende 1986 das „Loch“ nach West-Berlin zugemacht. Flüchtlinge brauchen jetzt gültige Visa für die BRD. Sie sind fast nur gefälscht zu haben und für die meisten unerschwinglich. Der Preis der Flucht

Die Flucht hat ohnehin schon einen hohen Preis. Die Schlepper verlangen Tausende von Mark, und die Frauen sind ihnen manchmal eine Woche und länger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, müssen ihren ständig wechselnden Begleitern blind vertrauen. Dazu kommt die Angst vor sexueller Gewalt und den bewaffneten Grenzpatrouillen. Zu den politischen Gründen, die die Frauen zur Flucht zwingen, kommt in vielen Fällen die geschlechtsspezifische Verfolgung hinzu, die Chomeini besonders brutal durchsetzte. Symbol dafür ist der „Schleierzwang“, eine rigide „islamische“ Kleider- und Verhaltensordnung. Sie beruht auf strengen religiösen Gesetzen, die Frauen von frühester Kindheit an in allen Lebensbereichen reglementieren und männlicher Allmacht unterwerfen. Kleinste Verstöße werden drakonisch bestraft. Bei Ehebruch oder „Prostitution“, einer häufig und beliebig vorgebrachten Anklage, droht die Todesstrafe durch Steinigung. Es gibt zahllose Beispiele für die Verfolgung von „unislamischen“ Frauen. Am bekanntesten bei uns ist die Geschichte der Lehrerin, die mit einem Kollegen im Auto zur Arbeit fuhr. Dafür wurde sie vor allen Schülerinnen ausgepeitscht und verlor dabei ein Auge. In der BRD wurde ihr Asylantrag mit der Begründung abgelehnt, es läge in ihrem Fall keine individuelle Verfolgung im Sinne des Grundgesetzes vor, auch wenn sie die öffentliche Auspeitschung als äußerst demütigend erfahren habe. Es handele sich vielmehr um eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der islamischen Ordnung, die gegen jede Frau angewendet werden könne. Erst nach einer langen Kampagne konnte ihre Abschiebung verhindert werden. Geschlechtsspezifische Verfolgung wird in der BRD bis heute nicht anerkannt.

Die jüngste Hinrichtungswelle im Iran hat für Nassrin einen neuen Charakter. Anders als früher sitzen die jetzigen TodeskandidatInnen bereits seit langen Jahren im Gefängnis. „Das ist ein Racheakt wie die Erschießung von Geiseln.“ Seit dem Ende des Krieges zwischen Iran und Irak seien viele Menschen arbeitslos. Fanatische AnhängerInnen Chomeinis, die sich und ihre Angehörigen an der Front geopfert haben, seien unzufrieden. Und Afsane fügt hinzu: „Bisher funktionierte der Krieg als Blitzableiter, nun muß eine innere Angstatmosphäre dafür herhalten.“ Nach dem Tod Chomeinis fürchten alle, daß die nun beginnenden erbitterten Machtkämpfe eine neue Repressionswelle durchs Land spülen.

Die Angst lähmt den Widerstand. Die Oppositionsparteien im Land, so Nassrin, sind kaum mehr in der Lage, ihn zu organisieren. Junge Leute und Männer werden besonders überwacht. Die einzigen, die es wagen können, von Zeit zu Zeit auf die Straße zu gehen, sind wie so oft die Mütter. Sie treffen sich auf dem Friedhof, um ihrer Angehörigen zu gedenken, und versammeln sich vor dem Justizministerium oder dem Evin-Gefängnis, um eine Besuchserlaubnis zu fordern oder gegen die Erschießungen zu protestieren. Immer riskieren sie dabei, zusammengeschlagen und verhaftet zu werden.

Ulrike Helwerth und Rose Ganger

Kontakt: Provisorisches Frauenkomitee gegen die Hinrichtungen im Iran, c/o Flüchtlingsrat Berlin, Handjerystraße 19/20, 1000 Berlin 41, Telefon 030/8500040