Christopher Street Day - in Metropole und Provinz

Tausende von Schwulen und Lesben feierten den traditionellen Christopher Street Day - den Tag des Aufbegehrens gegen Diskriminierung und Getto-Existenz / Der rot-grüne Berliner Senat bezeichnet einen Markstein für die Bewegung  ■  Von U.Helwerth / A.Hösch

Berlin (taz) - Der diesjährige Christopher Street Day - die Demo, mit der Lesben und Schwule jedes Jahr sich und ihre Anliegen präsentieren - machte einem Rosenmontagsumzug alle Ehre. „Lesben und Schwule, zeigt euch“ war sein Motto. Rund 5.000 Menschen fühlten sich aufgefordert - trotz der gefürchteten Zusammenstöße mit den Fußballfans, die wegen des DFB-Pokalspiels zwischen Borussia Dortmund und Werder Bremen zu Tausenden die Stadt gestürmt hatten. Auslöser für die Lust an der Demo war sicher nicht nur das strahlend schöne Wetter. Auftrieb gab dem „Stolz der Lesben und Schwulen“ auch Berlins Rot-Grün.

Immerhin sitzen im Abgeordnetenhaus für die AL inzwischen zwei „offen Schwule“, eine Frauenliebhaberin leitet an höchster Stelle die Geschicke der Frauen in dieser Stadt. Anne Klein, Senatorin für Frauen, Jugend und Familie, war daher auch die meistbegrüßte Rednerin auf der Abschlußkundgebung. Sie überbrachte Grüße von Regierendem Bürgermeister und Senat und warb für das neueste Projekt ihrer Verwaltung: ein Referat für „gleichgeschlechtliche Lebensweise“ (vgl. taz v. 24.6.). Denn eine „Reformregierung“ komme nicht umhin, sich auch aktiv für die Rechte von Lesben und Schwulen einzusetzen. Allerdings sind für diese Einrichtung bisher nur zwei Stellen genehmigt sehr zum Unmut der aktiven Lesben- und Schwulengruppen der Stadt.

Anne Klein ging in ihrer Rede auf jene kritischen Stimmen ein, die befürchten, mit einer solchen Institution werde die „subversive Lebenspraxis“ von Lesben und Schwulen erfaßt und kontrolliert, um sie gesellschaftlich besser handhabbar zu machen. Es habe jedoch nichts mit staatlicher Kontrolle zu tun, „selbstverständliche Lesben- und Schwulenrechte“ einzuklagen und in die Gesetze einzubringen - und eben dies seien die Aufgaben des zukünftigen Referats. Innerhalb der Verwaltung würde nicht „die Befreiung der Berliner Lesben und Schwulen ausgerufen“. Aus den Fenstern des Referats werde auch in Zukunft kein Transparent „zur Abschaffung der Kleinfamilie als Keimzelle des Staates“ aufrufen. Diese Arbeit bleibe den „außerverwaltungsmäßigen“ Gruppen überlassen. „Wir wollen Vielfalt und keine Hierarchie“, so die Senatorin. „Ein bißchen Durcheinander ist uns allemal lieber als Angst vor Bedrohung und Anfeindung.“ Der schwule AL-Abgeordnete Dieter Telge versprach, seinen „grünen Stachel auch weiterhin für rosa-lila Interessen in das träge Beamtensitzfleisch“ zu stecken. Zum Abschluß forderte die grüne Bundestagsabgeordnete Jutta Oesterle-Schwerin zu mehr schwul-lesbischer Power auf. Stärker als in den Jahren zuvor waren die Lesben vertreten. Sie brachten gleich einen ganzen lesbischen Senat mit, samt einer Senatorin für „Inniges“ und Forderungen wie etwa „Mehr Lesbengründungsdarlehen“ oder „Eine Gastprofessur für Sappho“.

Zu den befürchteten Zusammenstößen mit Fußball-Fans kam es glücklicherweise nicht. Seit dem frühen Morgen waren die Gelb-Schwarzen aus Dortmund in Rudeln durch die Innenstadt gezogen, auf der Suche nach einem echten Großstadterlebnis. An der Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße mußte die Demo ein regelrechtes Nadelöhr aus Fußballfanatikern passieren und sich, geschützt nur durch eine dünne Polizeikette, lautstarke Beschimpfungen wie „Schwule, haut ab“, „Ihr seid blöd“ oder „Ausziehen, Ausziehen“ gefallen lassen. Pariert wurde mit „Nazis raus“. Körperliche Auseinandersetzungen gab es nicht.

Der erregte Bademeister

Freiburg (taz) - Kollektiv lassen sie die Hüllen fallen und springen ins kalte Naß des öffentlichen Freiburger Faulerbads. KeineR regt sich darüber auf - bis auf einen, der dafür bezahlt wird: der Bademeister. Seine Erregung aber nehmen die etwa drei Dutzend Schwulen und Lesben als Kompliment für ihre provokative Spontiaktion. Nackt baden sie sich in Ausgelassenheit und Happiness. Von Bürgerschreck ist am Christopher Street Day 1989 keine Spur, weder im Bad noch auf der Straße.

Am Morgen desselben Tags: Sektkorken knallen in Freiburgs Fußgängerzone, die mobilen, überdimensionalen Tortenstücke künden von einem besonderen Geburtstag. Mehr als 500 Schwule und Lesben feiern den 20.Jahrestag der Stonewall-Revolte. Passanten bleinen schmunzelnd stehen, sind fasziniert von den ideenreichen Kostümen und dem sich ankündigenden Spektakel. Happening-Stimmung breitet sich aus: da ein Küßchen, dort eine Umarmung. Schreie des Entzückens. Rausgeputzte Tunten posieren für die Kamera. Der Demonstrations(um)zug setzt sich in Bewegung. Plötzlich schreit einer unaufhörlich: „Homosexualität ist Sünde!“ Belustigt-gelassen zieht der Zug an dem Rufer vorüber, einem stadtbekannten samstäglichen „Prediger“.

Doch trotz der aufgekratzten Jubelstimmung zeigt sich im Laufe der fast vierstündigen zentralen Demonstration, daß Schwul- und Lesbischsein ein permanenter Kampf sind. In Reden, Sketchen und Showeinlagen attackieren die Betroffenen all jene, die ihnen das Leben schwer machen: die Kirche, die Schule, Justiz und Politik, die örtliche Presse und nicht zuletzt die Stadtverwaltung, die die Freiburger Schwulen und insbesondere die Rosa Hilfe - noch mit keinem roten Heller unterstützt hat.

Daß die Repression gegen Schwule nicht abnehme, sondern mit dem Anwachsen der Rechten seit geraumer Zeit sogar zunehme, bekräftigt ein Redner bei einem Zwischenstopp vor dem ehemaligen Gestapo-Hauptquartier in Freiburg. Der jüngste Fall habe sich in Basel ereignet, wo eine Gruppe von Jugendlichen einen Schwulen überfallen, ihn mit Benzin übergossen und angezündet hat. Zum Gedenken an die schwulen Opfer des Faschismus legen einige in KZ-Kluft einen Kranz aus Stacheldraht nieder.

Noch immer gibt es den Paragraphen 175, noch immer werden Lesben und Schwule diskriminiert und in ihre Gettos verwiesen. Aber vernehmliche, selbstbewußt-stolze Töne verkünden in Freiburg 20 Jahre nach den New Yorker Straßenschlachten die Offensive: „Wird die Hecke abgeschnitten, gehn wir auf dem Rasen ficken.“ Die Menge johlt, tanzt und badet sich in der Vergewisserung der eigenen Stärke.