Protest gegen China in Ost-Berlin

Die „Kirche von unten“ hielt einen thematischen Gottesdienst ab / Resolution klagt „Verantwortung für Auschwitz“ ein / Stasi und Vopos sind aufmerksame Zeugen, greifen aber diesmal nicht ein  ■  Aus Ost-Berlin Petra Holstein

Unter den wachsamen Augen von Vopos und Stasi-Spitzeln protestierten am Freitag abend etwa hundert Ost -BerlinerInnen gegen die „unmenschliche Abrechnung der chinesischen Regierung mit ihrem eigenen Volk“. Während die DDR-Staatsgewalt am Vortage die TeilnehmerInnen einer Demonstration zur chinesischen Botschaft geprügelt und verhaftet hatte, griff sie bei dem „thematischen Gottesdienst“ in den Räumen der „Kirche von unten“ nicht ein.

Kerzen, weiße Nelken, ein kleines, rot bespritztes Transparent mit den chinesischen Schriftzeichen für das Wort Demokratie, daneben die im 'Neuen Deutschland‘ abgedruckten Erklärungen des chinesischen Zentralkomitees. Unterlegt mit Bildern des ARD-Fernsehens, liest eine junge Frau den furchtbaren Augenzeugenbericht eines Studenten vor, der das Massaker von Peking überlebt hat. „Pessimistisch? Nein, das bin ich nicht“, schrieb der 20jährige, „ich habe den Willen des Volkes und die Hoffnung Chinas gesehen. Und ich glaube, die Welt versteht und unterstützt uns.“ Kommentarlos rezitiert jemand aus dem DDR-Zentralorgan 'Neues Deutschland‘ den berüchtigten ZK-Brief an das chinesische Volk, in dem es heißt: „Die Niederschlagung des konterrevolutionären Aufruhrs war eine gerechte Aktion“. Manche ZuhörerInnen halten die Hände vor ihr Gesicht, die Mehrzahl verharrt regungslos.

Ihre Wut über Ost-Berlins Kollaboration und das dumpfe Schweigen der DDR-Bevölkerung drücken die Veranstalter in einem Sketch aus. Sechs Personen verbergen sich hinter dem 'Neuen Deutschland‘. Auf dessen eingeschwärzten Seiten stehen in großen weißen Buchstaben die Stichworte „Rädelsführer“, „Gewalttäter“, „bürgerliche Liberalisierung“, „konterrevolutionärer Aufruhr“, „extreme Minderheit“. Nach kurzer Diskussion einigen sich die Zeitungsleser darauf, „daß schon richtig sein wird, was in der Zeitung steht“ und China „weit weg“ sei. Dagegen setzen die Veranstalter eine aktualisierte Fassung des 23. Kapitels aus dem Matthäus-Evangelium gegen die „reaktionären Propheten-Mörder“.

Kritik an der DDR-Führung konkretisiert sich in Augenzeugenberichten von der Demonstration am Donnerstag. Für die Betroffenen des Polizeieinsatzes wurde Geld gesammelt.

In einer zum Schluß der Veranstaltung verabschiedeten Protesterklärung fehlt indes der Hinweis auf die Demo. In dem Text heißt es unter anderem: „Aus unserer unheilvollen deutschen Erfahrung und aus unserer Verantwortung für Auschwitz, für das Aufleben barbarischen Mittelalters vor noch nicht sehr langer Zeit in unserem eigenen Land dürfen wir solche Greueltaten nicht hinnehmen. Was immer die Schuld eines einzelnen sein mag, die blindwütige Rache richtet sich gegen alles, was an Freiheitlichem und Hoffnungsvollem, an Veränderndem und an Mutigem in China gedacht und gesagt worden ist. (...) Wir rufen zu weltweiter Solidarität mit den Verfolgten auf! Wir fordern die sofortige Einstellung der Hinrichtungen und ein Ende der Hexenjagd! Die uralte chinesische Tradition des weisen Dialogs muß an die Stelle von brutaler Gewalt und Menschenverachtung treten.“