Der Tag danach

Dortmund probt Volksfest  ■  PRESS-SCHLAG

Am Borsigplatz, diesem schmuddelschönen Altbauplatz der Dortmunder Nordstadt, ist die Vereinskneipe der Borussen. Die Vereinskneipe heißt Zum Borsigplatz. Hier nämlich kommen sie her.

Am Borsigplatz hängen Menschen mit schwarzgelben Schals, Wimpeln und Winkefähnchen in den Fensterkreuzen, in ihren Geranienkästen, in den Akazienbäumchen, an der Leuchtreklame des Lebensmittelladens neben der Vereinskneipe, an der Bierflasche oder am Hals von anderen schwarzgelb Dekorierten. Dort hingen sie schon am Samstag in die laue Sommernacht hinein, feierten Fußballpolternacht mit den leeren Glasflaschen, brüllten „Brussa, Brussa“, wie es hier ökonomisch Brauch und Sitte ist, hüpften, trugen ihre Mädchen auf den Schultern, schwarzgelbe Fahnen in den Himmel und ihr Geld zum Wirt.

Und irgend jemand muß sie dort hängen gelassen haben. Der Sonntag nachmittag war da und scheinbar niemand gegangen. Warten auf Borussia und Jubeln für Dortmund. Frauen im schwarzgelben Sommerkleid, türkische Hiphop-Kids mit Deutschlandfahne, Menschen, die man ewig nicht gesehen hat. Alle da. Der alte Herr neben mir war schon 1956 da. „Da hätten Sie mal hier sein müssen.“ Er hat lange gewartet.

Am Flughafen in Dortmund-Wickede hängen noch mehr Menschen in Zweierreihen hupend aus ihren Schiebedächern, auf ihren Fahrrädern und in rührenden Trauben an den offenen Brauereiwagen, die eine Blaskapelle und eine Fußballmannschaft transportieren. Hände schütteln, zärtelnd nach Nobby (Dickel) grabschen, und Micha (Rummenigge) kriegt den treu verschlissenen Schal um den Hals. Irgendwo am Hellweg sitzen zwei Menschen und ein Bierkasten auf drei Haushaltsleitern über dem Getümmel. Die Bürgersteige sind längst schwarzgelb, angeblich ist diese Farben weit über Dortmund hinaus ausverkauft.

DFB-Pokal, die Rückkehr zum Sommer, und eine Stadt feiert sich selbst als heimliche Fußballhauptstadt: Wenn wir sonst nichts sind, sind wir wenigstens die besten Fans. Die allerbesten. Vor lauter mediterraner Zuneigung werden Nobby, Micha, Franky (Mill) & Co. etwa dreieinhalb Stunden brauchen für die 15 Kilometer vom Airport zum Friedensplatz. Da stehn das neue Rathaus, das der Borussen-Fan schätzt, weil es aussieht wie ein Bierkasten, und circa 150.000 weitere schwitzende Menschen unter etwa genausovielen Fahnen, Bananen, Käppis und aufblasbaren Sektflaschen. Dortmund probt Volksfest. Vor lauter Volksfest sieht man nichts mehr. Jubeln, Kreischen und „Sind se schon da?“

Sie sind da! Halb sieben, ein blauer Abendhimmel, und niemand darf lange Reden schwingen. Sonst fängt die Meute einfach an zu singen. „Hört doch mal zu“, sagt der Moderator. Die Spieler beschränken sich auf Ein-Satz -Varianten zum Thema „Der beste Fan“ (der Bundesliga, Deutschlands, Europas, bei Kutowski dann schließlich „der Welt“). Trainer Köppel umärmelt zwei heulende Teenies, Präsident Niebaum lädt alle zum Feiern in den Hoeschpark (9.Juli), neben mir verlangt einer einen Balkon fürs neue Rathaus, weil er immer noch nichts sieht.

Frank Mill mußte für so was 13 Jahre Fußball spielen, Micha Rummenigge dreimal ins Finale. Und der alte Herr vom Borsigplatz hat nach dem Europa-Pokal 23 Jahre gewartet. Aber jetzt ham wir den Pokal. Halleluja.

Petra Höfer