„Handeln ist gefährlich geworden“

Nach dem Verbot des Polenmarktes hat sich der schwarze Handel zersplittert und verlagert / Polnischer Familienvater: „Tarnung ist alles“ / Gähnende Leere vor der Philharmonie / Polizisten fahnden nach den Kleinhändlern / Einreiseverbote und Beschlagnahmungen  ■  Aus Berlin Wolfgang Gast

„Marlboro?“ - Der 25jährige Pole blickt vorsichtig in alle Richtungen, bevor er einem kaufwilligen Fahradfahrer den Preis für die Zigaretten, „25 Mark für die Langen“, nennt. Das Mißtrauen und der Blick nach der Polizei war bis Anfang letzter Woche fremd. Unbekümmert hatte er - wie Tausende seiner Landsleute - seine Waren in der weit geöffenten Reisetasche auf dem Platz vor der Philharmonie angepriesen. Jetzt, nachdem der rot-grüne Senat den „Polenmarkt“ verboten hat, ist er vorsichtig, „es ist gefährlich geworden“, sagt er. Das Warenlager, eine Aldi-Tüte voller Zigarettenstangen, hat er zwischen den Büschen der Grünanlage versteckt, damit die regelmäßig vorbeilaufenden Polizisten ihm keine Handelsabsicht unterstellen können. Der Radler willigt schließlich in den Preis ein, und das Geld wechselt seinen Besitzer. Bevor der Pole die billigen Kippen aus der Tüte holt, späht er wieder nach möglichen Polizisten.

Die polnische HändlerInnen sind am Wochenende deutlich weniger geworden. In der Umgebung der Philharmonie bewegen sich nur noch Wenige, Mutige, die am Straßenrand die Passanten ansprechen und bei Interesse ihre Plastiktaschen öffnen. Die meisten der HändlerInnen, die als polnische Touristen einreisen, um an einem Wochendene mit dem Verkauf ihrer Habseligkeiten den Gegenwert eines Monatslohnes zu ergattern, sind an andere, verstecktere Orte ausgewichen.

Eines der kleineren Handelszentren ist nun eine Grünanlage am Hafenplatz, etwa 500 Meter weiter in Richtung Kreuzberg. Sträucher und Bäume versperren den Blick von der Straße. Auf dem Rasen zwischen den Sonnenhungrigen haben die HändlerInnen kleinen Gruppen gebildet. Ihre Taschen haben sie aufgebaut, als wollten sie gerade Picknick halten. „Alles Tarnung“, erklärt ein polnischer Familienvater, der seinen Wagen einen Kilometer weiter geparkt hat. Denn wer ertappt wird, riskiert nicht nur die Beschlagnahme seiner Habseligkeiten, er riskiert auch einen Stempel im Reisepaß, und künftig darf er dann in West-Berlin nicht mehr einreisen.

Die Frage, ob der Vermerk der Landeseinwohnermeldestelle auch in Polen Konsequenzen hat, kann der 33jährige aus Krakau nicht beantworten. Gehört hat er davon noch nicht. Überraschen würde es ihn aber nicht, sagt er. Immerhin hätten die Behörden in seiner Heimatstadt den grenzüberschreitenden Kleinhandel in der letzten Woche als „Ausverkauf staatlicher subventionierter Güter“ gebrandmarkt.

Nur wenig später werden zwei polnische Händler erwischt. Hinter den Büschen hatten die Polizeibeamten gewartet und beobachet, wie die beiden vorbeilaufenden Passanten ihre Plastiktüten entgegenhielten. Sie werden durchsucht, und neben allerlei Krimskram werden eine Flasche Wodka und drei Stangen Zigaretten sichergestellt. Die Männer werden zum Mannschaftswagen in der angrenzenden Straße geführt. Über das weitere Schicksal der Polen entscheidet dann der Leiter des zuständigen Polizeiabschnitts 34. Je nach Art des Handels und der Höhe des Geldbetrages legt er fest, wer einen Sichtvermerk in den Paß bekommt und wer nicht. Bei Schnaps und Zigaretten wird in der Regel sofort „gestempelt“ und die sichergestellten Genußmittel „vernichtet“, meint einer der Polizisten vor Ort, dem die Arbeit sichtlich unangenehm ist. Darauf angesprochen, verschanzt er sich: „Die Arbeit muß getan werden.“ Ansonsten hätten wir wieder Zustände wie vor einer Woche auf dem „Polenmarkt“, und „das wolle doch keiner“.

„Die Handelstätigkeit wurde unterbunden“, heißt es am nächsten Tag lapidar im Polizeibericht. 700 bis 800 PolInnen haben danach am Wochenende versucht, „an ständig wechselnden Orten“ ihren Hausrat loszuschlagen. Wie in den Tagen zuvor ist die Polizei mit Lautsprecherdurchsagen, mit Fußstreifen und Beschlagnahmeaktionen vorgegangen. Vor der Berliner Zollbehörde wartete am Samstag ein Dutzend polnischer BürgerInnen vergeblich auf die Herausgabe ihrer beschlagnahmten Sachen. Die Dienststelle ist am Wochenende nicht besetzt. Im Citybereich, rund um den ehemaligen Markt, hat die Polizei ihrem Sprecher zufolge am Samstag und Sonntag von jeweils 11 Personen die Pässe eingezogen. Die Folgen für die Kleinhändler kann der Sprecher nicht benennen. Er verweist auf die Landeseinwohnermeldestelle als zuständige Behörde. Aber auch dort ist niemand zu finden, der bereit wäre, genauere Zahlen zu nennen oder auch zu erklären, warum einige der polnischen Touristen am Wochenendede sogar kurzerhand abgeschoben wurden.