Übermut tut Sozis nicht gut

■ Umweltstaatssekretär Groth wirft dem Senat „mangelnden Mut“ vor / Kritik an Innensenator Pätzold und Verkehrssenator Wagner / Schreyer in die Mangel genommen / BVG-Karte für Autofahrer nach Stockholmer Modell hat im Senat aber keine Anhänger

„Mangelnden Mut“ hat Staatssekretär Groth von der AL -geführten Umweltverwaltung gestern der Mehrheit des neuen Senats vorgeworfen. Groth kritisierte insbesondere Innensenator Pätzold (SPD) für sein Abrücken von einer Parkgebühr für öffentlich Bedienstete. Wenn der Senat sich scheue, einzelnen Interessengruppen weh zu tun, „kommen wir doch überhaupt nicht in die Strümpfe“, meinte der Staatssekretär. Nach der Großrazzia im Mai, bei der Umweltsenatorin Schreyer 443 Betriebe kontrollieren ließ, sei sie „eine Stunde lang“ von den der SPD angehörenden Senatoren in die Mangel genommen worden, beschwerte sich Groth. Kritik richtete er auch gegen Verkehrssenator Wagner (SPD), der in einem taz-Interview erklärt hatte, man müsse auch für Zweit- und Drittautos Parkplätze zur Verfügung stellen. Er glaube nicht, daß eine solche Haltung mit der Koalitionsvereinbarung übereinstimme, meinte der Umweltstaatssekretär.

In der Abschlußdiskussion einer Fachtagung über die neue Umweltpolitik in Berlin hatte Reinhard Pfriem vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) nach der „Phantasie“ der Politiker gefragt. „Nicht Phantasie“ sei das Problem, sondern der Mut, hatte Groth gekontert. Der SPD -Abgeordnete Hans-Joachim Gardain warnte dagegen vor „Übermut“. Ihn treibt die Sorge, ob „die Bevölkerung“ der Politik „noch folgen kann“. Das von Pfriem angesprochene Stockholmer Modell, bei dem Autofahrer in der Innenstadt als Parkschein eine Monatskarte der öffentlichen Verkehrsbetriebe vorweisen müssen, lehnte gestern aber nicht nur Gardain, sondern auch Groth ab. Es sei „in Berlin nicht umzusetzen“. Stattdessen will der Staatssekretär bei Freizeiteinrichtungen, etwa Sportstadien, auf den Bau von Parkplätzen verzichten. Dies könnte bereits beim Umbau des Poststadions verwirklicht werden.

„Umweltpolitik in Berlin - Neubeginn nach der Wahl?“ hatten die Veranstalter der Tagung gefragt, neben dem IÖW das Berufsbildungswerk des DGB. In sechs Arbeitsgruppen diskutierten die Teilnehmer über die Handlungsmöglichkeiten des Senats und fragten nach den Instrumentarien und Programmen, die zur Umsetzung einer neuen Umweltpolitik erforderlich wären. Die weiter anwachsende Müllawine bildete einen Schwerpunkt der Diskussion. Mehrere Teilnehmer der Diskussion verwiesen darauf, daß es in den nächsten Jahren nicht möglich sei, den Müllberg auf eine Menge zu reduzieren, die in der bestehenden Verbrennungsanlage in Ruhleben zu bewältigen sei. „Was dann?“ fragte Christoph Landerer von der DGB-Technologieberatungsstelle. Der Senat müsse entscheiden, ob und wo er neue Deponien oder Verbrennungsanlagen bauen wolle. Staatssekretär Groth äußerte sich dazu nicht, versprach bis zu den nächsten Wahlen aber „die größte Kompostierungsanlage Europa“ für organischen Müll zu bauen.

hmt