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DAS DESASTER-CARTOON

■ Gespräch mit dem Überlebensforscher David Pauline über Krieg, Sport, Funktion, Ästhetik und vor allem Maschinenkunst

Täglich um 11 und um 15Uhr (Mittwochs um 19Uhr) wird - quasi schamhaft versteckt - in einer Ecke der Ausstellung Maschinenmenschen ein zweistündiges von Fritz Balthaus zusammengestelltes Videoprogramm gezeigt, das in seiner Konsequenz sehr viel ernster zu nehmen ist, als die ganze restliche Ausstellung, die damit implizit sogar heftig kritisiert wird. Sechs Filme beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit der Funktionsweise von Maschinen. Neben „The way things go / Der Lauf der Dinge“ von Fischli / Weiss, „Baustelle“ von Minus Delta t / Frigo, „Tiegel“ von Fritz Balthaus, Ausschnitten aus „Les Images et la Guerre / Bilder des Krieges“ von Jacques Innocenti und Paul Virilio und dem „Propellerband“ von Klaus vom Bruch werden vor allem Ausschnitte aus „A Scenic Harvest from the Kingdom of Pain / Maimed Artists / The Virtues of Negative Fascination“ gezeigt mit Maschinenperformances der Gruppe Survival Research Laboratories aus San Francisco. Fritz Balthaus und Herr Batlan sprachen mit David Pauline vom „Laboratorium zur Erforschung und Fabrikation von Überlebenstechniken“ über deren Maschinenshows.

Balthaus / Batlan: Ihr greift bei Euren Shows auf einen bestimmten Maschinenpark zurück, der dann immer wieder mit neuen Bildern und Zielscheiben konfiguriert?

Pauline: Wir stellen einen Pulk von Maschinen zusammen und arbeiten so oft damit, wie etwas Originelles dabei herauskommt.

Was hat sich geändert seit der ersten Show 1979?

Es gibt jetzt hunderte von Maschinen, das erhöht die Möglichkeiten ähnlich wie bei einem Kombinationsschloß. Ein Zahlenschloß mit einer Geheimnummer hat gute Chancen, geknackt zu werden, während meherer Geheimzahlen das zufällige Öffnen eines Schlosses weiter ausschließen. Wir operieren also offensichtlich auch auf der Ebene von Panzerknackern und Kryptographen.

Haben die Shows etwas mit Theater zu tun?

Es ist eher der Theaterblick des Publikums, der solche Vergleiche anstellt. Wir bieten Theatralisches in einem Sinne wie Maschinen es verstehen, ein Theater von Maschinen im Sinne moderner Kriegsführung. Dem bestreitet die Allgemeinheit einen Unterhaltungswert, sieht man mal vom Hardcore-Publikum ab.

Würdest Du sagen, der Krieg hat ein Publikum?

Natürlich hat der Krieg ein Publikum, gerade heutzutage geht es der Kriegsführung nur noch um Publikum. Was anderes machen die Leute denn, als herumzusitzen und auf eine Missile zu warten. Das ist sadomasochistischer Zuschauersport. Der Voyeur an den Knöpfen kann dich in die Luft jagen.

Marinetti?

Das ist Kunstgeschichte. Der wesentliche Unterschied zu uns ist, daß er sich auf traditionelle Erwartungen der Schrulle Kunstwelt eingelassen hat. In dieser unbefragten Trennung der Welt von der Kunst hat er es sich bequem gemacht, und einzig und allein dazu existiert die Infrastruktur der Kunstszene noch immer. Zu seiner Zeit hatte er natürlich mehr Relevanz als viele andere, mich hat er aber nicht beeinflußt. Mit Ausnahme von Filmen und Büchern gibt mir die Kunstwelt überhaupt nichts. Ich mag auch das Fernsehen nicht - mit Ausnahme der Nachrichten.

Wie ist es mit Eurer Präsentation von Katastrophen und mit den medialen Realitätsverschiebungen. Was ist der Unterschied zwischen einer TV-News-Show und einer S.R.L. -Show?

Wir nehmen eine katastrophale Situation und machen sie lächerlich. Wir reproduzieren sie nicht nur. Und dann nehmen wir natürlich keine Flugzeuge oder Züge und jagen sie ineienander. Mit dem Werkzeug der Katastrophen zeichnen wir ihre Umstände nach und stellen Cartoons wirklicher Desaster her. Wir wetteifern nicht mit den Katastrophen, dazu gibt es keinen Grund, wenn wir das täten, würden wir zu Produzenten von Nachrichtenmeldungen, das wäre zu wenig.

Sind Eure Shows politisch?

Es gibt viele politische Implikationen. Politisch sein bedeutet doch in jeder Kultur, Gefühle und Ansichten der Leute zur Sprache zu bringen, die der gesellschaftliche Druck produziert. Unterdrückung bei uns kann nur Erfolgsdruck und Zwang zur Anpassung heißen. Jobs und soziale Stellung haben etwas Unreales und Ungreifbares. Das Leben wurde total abstrakt und ist zu einem konzeptuellen Spiel geworden. In industriellen Zeiten konnten wir noch über Dinge nachdenken.

Ist Deine Arbeit ein Schutzschild dagegen?

Ich denke, wir liefern die ultimative Satire zur Gesellschaft.

Würdest Du ohne Publikum anders arbeiten?

Ohne Publikum kein Spektakel. Ich hoffe nur, daß jeder mit einem total anderen Eindruck weggeht, denn ich denke nicht, daß eine intelligente Position etwas mit Dogma zu tun haben kann, also mit einer Gewißheit über das Gesehene und das, was darüber zu denken ist. Was wir machen, ist der absurde Versuch, eine Position zu finden, die für die nächsten fünf Minuten Gültigkeit hat, denn es gibt keine relevante Einschätzung, die noch in fünf Minuten gültig wäre. Jede Haltung wird augenblicklich zu etwas anderem, und Du lieferst nur den Beweis dafür, wie gänzlich falsch Du wieder mal gelegen hast. Die eigentliche Verantwortung liegt darin, Situationen zu produzieren, in der viele Möglichkeiten der Auslegung liegen.

Was sind die Grenzen der Shows?

Wir verletzen keine Leute.

Was würdest Du machen, wenn Dir unbegrenzte Mittel zur Verfügung stünden?

Das wäre nicht schlecht, aber das möchte ich gar nicht. Das wäre ja so, als ob S.R.L. plötzlich zum Verteidigungministerium ernannt würde. Dabei werden die Verteidigungshaushalte drastisch gekürzt, weil der Krieg der Waffen überflüssig geworden ist. Es wird den ultimativen Krieg der ungleich subtileren Ökonomie und der Blackmail geben. Sport zum Beispiel ist eng verbunden mit einer militärisch-industriellen Gesellschaft, und da auch die Vereinigten Staaten diesen Charakter verlieren, wird auch der Sport durch viel subtilere und kompliziertere Formen des Spektakels ersetzt werden.

Deine eigene Rolle als Performer ist nebensächlich?

Viele Leute geben ihr zu viel Bedeutung. Das ist wie mit der Kritikerin von der New York Times, die zu unserer Show kam. Sie fragte: „Können Sie mit sagen, was die Bedeutung der organgefarbenen Kabel ist?“ Da lagen diese Verlängerungskabel herum, und die dachte... Ganz offensichtlich war sie der festen Überzeugung, daß nichts anderes Bedeutung haben könnte. Textur und Farbe, unser antrainierter Blick auf die Dinge. Das konnten wir nicht verhindern bisher.

Was sind die ästhetischen Kriterien zur Entwicklung Eurer Maschinen?

Funktion. Wenn Du Dich nur auf Funktionalität einläßt, ist es überflüssig, Dich auf andere ästhetische Kriterien einzulassen. Die Funktion entscheidet alles für dich, sie macht sich selbst. Das sieht man schon daran, wie ein Kampfflugzeug als eine unglaublich gut gestaltete Skulptur daherkommt. Und das nicht, weil General Motors gesagt hat, wir bauen jetzt ein unheimlich scharf aussehendes Flugzeug, sondern weil jeder Gegenstand mit extrem definierter Funktion seine eigene Ästhetik entwickelt, bei der alle anderen Kriterien zweitrangig sind.

Du sprichst von Deinen Maschinen als Darsteller und manchmal haben sie auch einen anthropomorphen Zug.

Wir arbeiten mit allen Mitteln, deshalb auch die Explosionen. Das ganze ursprüngliche Zeug. Mit den anthrophomorphen Qualitäten der Maschinen zu spielen hat seine Grenzen. Wir wollen zum Beispiel keine sprechenden Abraham Lincolns wie in Disneyland.

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