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Brokdorf-Urteil im Prozeß zwischen AKW-Gegnern

Klage gegen Dauerbetriebsgenehmigung für AKW Brokdorf abgewiesen, weil der Kläger nicht gegen die zuvor erteilten Teilgenehmigungen geklagt hatte / Zweifelhafter Sieg des schleswig-holsteinischen Energieministeriums im Streit um Grenzwerte  ■  Aus Hamburg Gabi Haas

Nach dreijähriger Prozeßdauer hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gestern die Klage des Meteorologen Karsten Hinrichsen aus Brokdorf gegen die Dauerbetriebsgenehmigung für das zwei Kilometer von seinem Wohnhaus entfernte AKW abgewiesen. Begründung: Hinrichsen habe es versäumt, gegen die zuvor erteilten Teilgenehmigungen zu klagen, die deshalb unanfechtbar geworden seien. Der Kläger müsse deshalb jetzt nicht mehr gehört werden. Nach Auffassung von Hinrichsen und dessen Rechtsanwalt Gunnemann wird es durch diese vom beklagten schleswig-holsteinischen Energieministerium in das Gerichtsverfahren eingebrachte Rechtsposition zukünftig wesentlich schwerer, gegen Atomanlagen zu klagen. Die Brisanz des Prozesses liegt darin, daß hier ein Atomgegner erstmals gegen eine Genehmigungsbehörde klagte, die ebenfalls den Atomausstieg auf ihre Parteifahnen geschrieben hat.

Dennoch war der Kieler Energieminister Jansen bis zuletzt (SPD) offensiv für eine Abweisung der Klage eingetreten und hatte schließlich auch in persönlichen Gesprächen Hinrichsen zu überzeugen versucht, die Klage freiwillig zurückzuziehen. Nach Angaben von Hinrichsen habe ihm das Kieler Energieministerium in den letzten Tagen buchstäblich „die Türen eingelaufen“, und auch andere Gruppierungen wie etwa den BUND und diverse PressevertreterInnen auf ihn angesetzt.

Der Streit drehte sich hauptsächlich um die von dem Brokdorfer Atomexperten vorgetragene Berechnung, nach der durch den Betrieb des AKW Brokdorf seine Strahlendosisgrenzwerte überschritten würden, da er sich durch vor Ort angebaute Produkte ernähre. Jansen hatte erklärt, auch er halte die genehmigten Grenzwerte für zu hoch, dennoch sei er durch die geltende Rechtslage gezwungen, sie zur Grundlage seiner juristischen Entscheidungen zu machen.

Hinrichsen, der bei früheren Prozessen der SPD gegen das AKW-Brokdorf selbst als Gutachter fungiert hatte und inzwischen bei den Grünen eingetreten ist, vermutet hinter Jansens Strategie dagegen die Angst, das Gericht könnte die Brokdorf-Betriebsgenehmigung tatsächlich für ungültig erklären. Der „Ausstiegsminister“ wäre dann nämlich in Zugzwang geraten und hätte sich mit einer neuen Betriebsgenehmigung entweder mit den Betreibern oder den Atomgegnern anlegen müssen.

Wenn diese neue Rechtsposition Schule mache, müßten BürgerInnen zukünftig gegen jede Teilgenehmigung von technischen Großanlagen klagen, und zwar mit einem untragbaren Kostenrisiko. Gegen die Entscheidung des OVG, eine Revision nicht zuzulassen, erwägt Hinrichsen eine Beschwerde.

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