„Leute können mit schlichten Sachen nichts anfangen!“

■ taz-Gespräch mit dem Bremer Goldschmiede-Meister Erich Hergert nach einem Gang durch „Das Gold aus dem Kreml“

taz: Wenn Sie als Bremer Goldschmied durch diese goldene Ausstellung gehen, wie ist Ihnen zumute?

Erich Hergert: Ich habe Ihnen ja die Geschichte mit dem Floh erzählt: Die Russen konnten handwerklich wirklich Enormes ob es dann immer künstlerisch sinnvoll ist, ist die Frage. Aber ohne Zweifel hat diese Aussstellung außerordentlichen Charakter: Wir werden mit Dingen konfrontiert, die uns sonst nicht begegnen. Und sie hat eine enorme Breitenwirkung, wohl auch gerade ihrer Üppigkeit wegen: Viele Leute können mit schlichten Sachen nichts anfangen. Wer Gelsenkirchener Barock schön fand und findet - die Leute kamen ja oft auch aus dem Osten - wird bei sowas jauchzen! Oder denken Sie an die Rheinländer, die mit den Römern konfrontiert waren und sind, da gibt es für so viel Farbe und Pracht viel mehr Verständnis! Für die Protestanten

und Calvinisten hier in Bremen ist das ja oft viel zuviel von allem, zu viel Farbe und Sinnefreude und Prunk, die stöhnen dann gleich los: „Zu viel!“ Das ist mir zu einseitig.

Sie amüsieren sich über die Calvinisten, aber der Schmuck, den Sie selbst entwerfen und herstellen, ist ein Inbegriff von Strenge und Schlichtheit!

Ich muß das trennen können, andere Dinge sehen und verstehen. Sonst wird man ja ganz verbiestert.

Dieses Immer-eins-obendrauf-Setzen kommt vielleicht bei den Russen wirklich aus der Isolierung der Goldschmiede an den Höfen der Zare oder Großfürsten, die wurden ja zum Teil wie Sklaven gehalten, es gab keinen künstlerischen Austausch. Ich kann mir vorstellen: Da mußte dann vieles aus dem Gedächtnis oder aus der Phantasie der Fürsten entstehen: immer noch mehr und mehr drauf. Da ist die Ge

fahr, daß sich die Dinge gegenseitig aufheben in ihrer Wirkung, zu überbieten versuchen durch Anhäufung unterschiedlicher Materialien. Man spürt, wie auch in der Malerei, die Tennung zwi schen eigenen und Auftragsar beiten. Sakrale Gegenstände, die

in russischen Klöstern entstanden, sind oft ruhiger, konsequenter, deutlicher. Oft ist ja die Idee, der Aufbau schön, ganz konsequent, die Anlage ganz streng...

...Aber man glaubte dann, noch viel mehr Verzierung zu brauchen, noch Perlen und Steine

und Email und Filigran und Niello - man traute der Form nicht recht?

Ja, man suchte nicht nur den Inhalt, man hat sich mehr nach außen orientiert, eher verziert als abstrahiert.

Den Stücken sieht man ihre Herstellungsbedingungen ja nicht unbedingt an.

Aber viele kommen bei der Ausstellung auch auf Gedanken wie 'Jetzt wissen wir, wieso die einen so viel Geld hatten und die anderen so wenig‘. Bis zur russischen Revolution war übrigens Hanau, ich hebe dort studiert, eine berühmte deutsche Goldschmiedestadt durch angesiedelte Hugenotten und Wallonen. Da gab es damals Ateliers, in denen 25 Goldschmiede ein halbes Jahr nur an einem Auftrag, meinetwegen so einem Ordensband, gearbeitet haben - für Rußland. Und nach der Revolution ging halb Hanau pleite und hat sich als Goldschmiedestadt auch nie mehr er

holt. Da sieht man, welche Geldströme geflossen sind!

Wenn Sie ein Stück mitnehmen dürften?

Ich hab da keine Ambitionen. Das müßte noch älter sein, Vielleicht Griechisches, Römisches, Etruskisches. Die Etrusker übrigens, die haben in ihrer Goldverarbeitung auch sehr verschwenderische Arbeiten gemacht - aber dann nur mit Gold, flächig und plastisch gestaltet - das ist dann so einheitlich trotz der Vielteiligkeit: Wunderbar, wunderbar, so ein kleines Vögelchen oder ein Löwe, wie der dann gebaut ist...

So ins Schwärmen bringt Sie keins der Kreml-Stücke?

Ich finde den Kelch und das einfache Kreuz sehr gut, auch das einfache goldene Evangeliar, nur mit Filigran besetzt, das sind ganz hervorragende Arbeiten. Oder da, wo die Funktion klar hervortritt und, sich integrierend, zum Schmuckteil wird, sehr sehr schön. Fragen: S.P