Vom Musterländle zum Dioxinländle

■ Parlamentarischer Untersuchungsausschuß soll Dioxin-Verseuchung in Maulach und Rastatt aufklären

Stuttgart (taz) - Die alarmierende Dioxin-Verseuchung in Maulach und Rastatt in Baden-Württemberg wird demnächst einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß beschäftigen.

Die SPD-Fraktion im Landtag beschloß am Donnerstag, diesen „Dioxin-Ausschuß“ einzusetzen. Der SPD-Landesvorsitzende Ulrich Maurer sagte am Rande einer Fraktionssitzung, die 42köpfige SPD-Fraktion habe im Landtag genug Stimmen, um den Untersuchungsausschuß auch alleine durchzusetzen. Sein Name soll lauten: „Gesundheitsgefährdung durch Dioxin in Baden -Württemberg, unzureichende Informationspolitik, Fehler und Versäumnisse der Landesregierung bei der notwendigen Gefahrenabwehr.“

Der Grundsatzbeschluß werde den anderen Fraktionen mitgeteilt, sagte Maurer. Die SPD will so erreichen, daß alle Fraktionen einen gemeinsamen Untersuchungsauftrag formulieren. Der Landesvorsitzende rechnet damit, daß der Ausschuß nach der Sommerpause seine Arbeit aufnimmt.

Zugleich erhob der Umweltsprecher der SPD-Fraktion, Ulrich Brinkmann, schwere Vorwürfe gegen den Stuttgarter Umweltminister Vetter. Brinkmann wirft ihm „bewußte Körperverletzung im Amt“ vor. Der Minister habe, so Brinkmann, schon 1987 das Ausmaß der Dioxin-Belastung in Rastatt und Maulach gekannt, was ihn jedoch nicht zum Eingreifen veranlaßte.

Brinkmann legte Dokumente vor, aus denen hervorgeht, daß bereits 1987 der Tübinger Dioxin-Experte Professor Hanspaul Hagenmeier der Landesregierung mitteilte, wie stark die Dioxin-Verseuchung in beiden Orten ist. In seinem damaligen Gutachten nannte Hagenmeier zwei erste gravierende Analyseergebnisse. Er ermittelte 4.200 Nanogramm Seveso -Dioxin in Rastatt und 1.600 Nanogramm Seveso-Dioxin in Maulach (in der Wissenschaft ist es inzwischen üblich, alle Dioxine umzurechnen auf das Seveso-Dioxin TCDD). Bereits ab drei Nanogramm Seveso-Dioxin empfiehlt das Bundesgesundheitsamt (BGA), keine Erdbeeren oder Salate anzubauen; ab 40 Nanogramm sollen überhaupt keine eßbaren Früchte mehr angepflanzt werden.

Weitere Analysen von Hagenmeier ergaben später Spitzenwerte von bis zu 29.000 Nanogramm in Maulach und 7.900 Nanogramm in Rastatt. Die SPD greift Umweltminister Vetter deshalb scharf an. Er hatte in Kauf genommen, daß Kinder jahrelang in extrem dioxinverseuchter Erde spielten und eventuell auch Erde in den Mund nahmen. Von daher müsse sich der Minister den Vorwurf der bewußten Körperverletzung im Amt gefallen lassen. Das Umweltministerium keift zurück: „Mit solchen abstrusen und abenteuerlichen Vorwürfen setzen wir uns nicht auseinander.“

„Katastrophal“ nennt Brinkmann die Informationspolitik der Landesregierung in Sachen Dioxin. Vetter habe die Auskunft „verweigert“, wo genau welche Dioxinwerte gemessen wurden. So sei lediglich von einem Maximalwert von 261 Nanogramm „Randstreifen einer Straße“ gesprochen worden. Außerdem habe Vetter nicht die Frage der SPD beantwortet, ob hohe Dioxin -Verseuchungen auf Industriegeländen, in Hausgärten oder auf Kinderspielplätzen festgestellt wurden.

Brinkmann erklärt sich diese „unverschämte Mißachtung des Fragerechts des Parlaments“ mit dem „extrem schlechten Gewissen“ der Landesregierung.

Ingo Leipner