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Geklaute jüdische Religionsgüter

■ Pastor von Zobeltitz‘ versucht Rückgabe mit Jesus ex machina in St. Stephani

„Fürchte Dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ So hat Martin Luther Jesaja 43, 1 übersetzt, und so wird es den Christen in allen Pfarrkalendern und Herrenhuter Losungen versprochen. Das aber heißt, so Pastor von Zobeltitz zu den Stephanigemeindlern heißt: „Wir bringen damit Israel um seine Bibel.“ Und: „Nach Auschwitz ist es verboten, die an die Juden adressierten Verheißungen einfach in unser Leben zu übernehmen.“

Denn es ist eine konkrete Versprechung, die Jesaja da dem Volk Israel im babylonischem Exil überbringt. Sie heißt der Pastor hat seiner Gemeinde seine korrekte Übersetzung mitgebracht - : „Fürchte dich nicht, denn Ich erlöse dich. Ich rufe dich bei Deinem Namen. Mir gehörst Du an.“ Die Rettung ist also nicht schon passiert, sondern Futur. Der Gott der Juden verspricht seinem Volk und niemand anderem, es als Volk zu erhalten und seine Nachfahren aus allen Himmelsrichtungen nach Jerusalem zurückzuführen. Eine Verheißung, an die sich Juden Jahrtausende geklammert haben.

Immerhin ein aufstörender und rarer Hinweis darauf, daß mit der christlichen Usurpation des „Alten Testamentes“ die gezielte Verwischung seines jüdischen Charakters einherging. Aneignung durch Enteignung. Aber dann kriegt er die Kurve, der kritische Pastor mit dem Schnauzbart. Die Verheißung gilt uns doch, denn Jesus Christus hat auch uns, alle Völker, die sich taufen ließen, zu „Miterben des Reiches Gottes gemacht.“ Sie gilt deshalb auch - die Wendung gegen Rassismus und Rechts nicht vergessen - allen gleichermaßen und nicht etwa bloß den Weißen oder den Deutschen, (oder den Juden, aber das sagt er nicht.)

Das ist so eine Sache mit der Rückgabe jüdischen Bibeleigentums, wenn es sich mit Jesus ex machina doch wieder schwuppdiwupp in Gemeineigentum verwandelt. Der Zweifel, einmal gesät, nagt. Wie kann denn dieser Jesus die konkrete, Rückkehr nach Jerusalem ummünzen in ein allgemeines Heilsversprechen? Die Juden erkennen Jesus als den von den Propheten versprochenen Messias überhaupt nicht an. Können wir davon dann auf einmal absehen? Und wieso hat Gott denn uns statt der Heimkehr nach Jerusalem auf einmal die Miterbschaft an einem himmlisch-metaphysischen Reich versprochen, während Jesus und vor allem seine Jünger sich dieses Reich partout nicht metaphysisch sondern auf Erden ausbrechend vorstellten? (Wie die jüdischen Propheten.) Wenn man erstmal mit der Historisierung anfägt, ist man ruckzuck bei dem Verdacht, daß die christliche Transformation des jüdischen Stammesglaubens in eine Weltreligion selber schon ein Akt der Enteignung war.

Uta Stolle

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