„Das klang damals völlig anders!“

■ Diskussion über die Psychotherapiepolitik des neuen Senats / Kritik an Stahmer wegen finanzieller Einschränkungen

„Das Ganze erscheint mir wie eine Aufgabe aus einem grotesken Intelligenztest“, resümierte Reinald Purmann vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPW) und appellierte an die „berufspolitische Problemlösungfähigkeit“ der KollegInnen. „Seele im Abseits?“ hatten Therapeuteninitiativen und Psychologenverbände gefragt und am Freitag abend zur Diskussion über die Psychotherapiepolitik des neuen Senats ins DAG-Haus geladen. Über 200 PsychologInnen, KindertherapeutInnen, SozialarbeiterInnen kamen und setzten der trotz Urlaubs erschienenen Sozialsenatorin Stahmer hart zu.

Stein des Anstoßes: die von der Senatsverwaltung im August letzten und Juni dieses Jahres erlassenen Rundschreiben, die die Therapiemöglichkeiten nach dem Bundessozialhilfegesetz massiv einschränken. Diese von den Jugend- und Sozialämtern finanzierten Therapien konnten bislang auch von nichtärtzlichen Therapeuten - zum Beispiel Psychologen und Sozialarbeiter mit Zusatzausbildung vorgenommen werden. Da die Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) präventive Maßnahmen fördert, kamen sie vor allem Kindern und Jugendlichen zugute. Im Gegensatz zu den am medizinischen Krankheitsbegriff orientierten Kassentherapien, sahen sie ausdrücklich die Einbeziehung des sozialen Umfelds vor. Art und Dauer der Therapie waren dabei nicht durch starre Regelungen festgelegt, sondern richteten sich nach den Bedürfnissen und Schwierigkeiten der Klienten.

Der erprobten 15jährigen Praxis der BSHG-Therapien setzte ein Rundschreiben des alten Senats vom August '88 ein Ende: Es sah eine weitgehende Angleichung der BSHG-Therapien an die kassenärtzlich verordneten Therapien vor. Die Folge: Therapien mußten vorzeitig beendet werden, weil nur noch die kassenärztlich vorgeschriebene Stundenzahl übernommen wurde. Kosten für nicht im Kassenkatalog enthaltene Verfahren wie Gesprächs-, Gestalt-, Familien- oder Spieltherapie konnten nicht mehr erstattet werden. Deshalb waren sich Anfang Januar bei einer Veranstaltung zum Thema Fachmenschen und PolitikerInnen einig: „Die Vorlage muß so schnell wie möglich vom Tisch!“ Der Meinung war auch Ingrid Stahmer, die damals noch als Oppositionspolitikerin auf dem Podium saß. Das von ihrer Senatsverwaltung jetzt veröffentlichte Rundschreiben nimmt den alten Entwurf jedoch nur in einigen Punkten zurück. Den jetzigen Entwurf will die Senatorin denn auch ausdrücklich als Zwischenlösung verstanden wissen. Mit dem beabsichtigten Hinweis auf ein dermaleinst zu schaffendes bundesweites Psychotherapiegesetz wollten sich die meisten Anwesenden allerdings nicht abspeisen lassen. Auch der Hinweis auf das Jugendwohlfahrtsgesetz, in dem Präventivmaßnahmen doch viel besser aufgehoben wären, stieß auf Skepsis: “ Das JWG gibt dafür gar nichts mehr her!“ empörte sich z.B. Irmgard Unger vom Berufsverband der Psychologen.

Tatsächlich sieht der neue Entwurf des Jugendwohlfahrtgesetzes nur sozialpädagogisches Training, aber keine Therapiemöglichkeiten vor. Offen blieb auch, wie der Senat die 1991 geplante Neuregelung der Therapeutenzulassung für BSHG-Therapien zu handhaben gedenkt. Die Senatorin bat um Geduld: „Das kann man einfach nach 100 Tagen noch nicht sagen.“

Dagmar Schediwy