Bestie Habgier-betr.: "Kapitale Kompromisse", Kommentar, taz vom 7.6.89

betr.: „Kapitale Kompromisse“, Kommentar von Gerd Nowakowski, taz vom 7.65.89

Wer sagt denn, daß Joschka Fischer dem Kapitalismus huldigt, wenn er eine verursacherzentrierte Umweltschadenshaftung fordert? Und: Wenn man das Kapital in seine gesamtgesellschaftliche (Kosten-)Verantwortung nimmt, ist das doch nicht Kapitalismus.

Ist es überhaupt ein „Gesellschaftsentwurf“, wenn im Laufe der letzten 200 Jahre ein „Profitmechanismus“ die Herrschaft angetreten ist. Adam Smith beschreibt ja nur, wenn er sagt, daß Egoismus die stärkste Triebfeder im „Vorankommen“ der Menschen ist und baute ihn realistisch in die Zukunftsentwicklung des Wirtschaftens ein. Er konnte damals nicht anders, war blind in der Ressourcenfrage, wie fast alle seine Zeitgenossen. Nicht nur Herrhausen, wir alle bemerken, daß Kapital inzwischen zur Ware geworden ist. Aber wir erkennen, daß dem ein Mißverständnis seiner Funktion zugrundeliegt. Die hängt wiederum mit dem auch von Späth kürzlich als Gefahr beschworenen mangelnden Gegengewicht zur gefräßigen „Bestie Habgier“ zusammen. Iwan Illich fand heraus, daß in allen gewachsenen Kulturen des Erdballs ein Gegengewicht vorhanden war, das er eindrücklich vor Wirtschaftsökologen darstellte: Die Religion mit ihrem ethischen Gesamtkonzept.

Was wir heute erleben, ist das Auseinanderfallen von „Kapitalschichten“ - dazu gehören alle, die nach „schneller, größer, höher rennen - und „Bildungsschichten“, die eine geistige Lebenskomponente entdeckt haben (Traditionalisten haben bei uns bald kein Gewicht mehr). Nach aller Erfahrung werden sie es sein, die das Kapital in gesamtgesellschaftlich orientierte Kanäle schleusen und es auch anteilig dorthin zu lenken suchen, wo eine neue, am globalen Gemeinwohl ausgerichtete Philosophie und Ethik ihre Ausgangsbasis hat: im gesamten Kulturbereich. Zu ihm gehören nicht nur die musischen Künste, sondern alle mit dem Lebensbereich verbundenen Tätigkeiten - vom Umgang mit Menschen, Wissen und Technik in den Bildungseinrichtungen angefangen bis in Medizin, Landbewirtschaftung, Ernährung und Forschung. Nach wie vor dreht sich doch Wirtschaft auch im High Tech lediglich darum, allen Menschen auf Dauer Wohnung, Kleidung, Nahrung und Rehabilitation zu verschaffen. Letztere hatte selbst unter beschränktesten Verhältnissen in allen Völkern immer tragenden Charakter. Es gab nie nur Arbeit, Stoffe, Zelte oder Häuser, sondern stets auch Dialog, Schönes, Sinnvolles und Belastungen Ausgleichendes.

Kapitaler Kompromiß wäre nicht das Zollen des gleichen Respekts vor der Macht des Kapitals wie vor der Macht der Arbeit, die mehr und mehr von Technik ersetzt wird. Ich möchte wetten, daß Joschka Fischer die Rolle des Rechts und vor allem der Gesetzgebung und der staatlichen Insitutionen gegenüber der Wirtschaft im Auge hat. Weil diese im GG verankerte selbständige Rolle pervertiert ist (siehe Wackersdorf) und qua Brüssel weiter geschwächt zu werden droht, können sich gar nicht genug unabhängige Gedanken regen. Nicht das Kapital ist innovativer, sondern die selbständigen, denkenden Menschen sind es. Kapital, jeder weiß es, ist nicht Geld, sondern in erster Linie „Gedankenfindung“ und ihre sinnvolle Umsetzung. Gorbatschow und Späth waren sich einig: „Freie Bahn dem Innovativen“. Also bei uns (Kultur) „Bildungsoffensive“, in der UdSSR „Rechtsoffensive“. Der „Kompromiß“, um den es geht, ist der zwischen Kultur, Recht und Wirtschaft. Alle drei bilden nur gemeinsam und ausgewogen lebensfähige Gesellschaft. Eines in Vorhand zerstört sie. Ohne sinnvolle Vernetzung (nicht Kompromiß) läuft nichts, was allen Arten von Elend Schach bieten könnte.

Gisela Canal, Ulm