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Alte Knochen

■ Mozarts Schädel wird neu erforscht

Andreas Eisenhart ..

Wie mich geheimnisvoll die Form entzückte

Die gottgedachte Spur, die sich erhalten

Ein Blick, der mich an jenes Meer entrückte

Das flutend strömt gesteigerte Gestalten

Geheim Gefäß! Orakelsprüche spendend

Wie bin ich wert, dich in der Hand zu halten

..

Goethe

bei Betrachtung von Schillers Schäde

Mozart stirbt am 5. Dezember 1791 um 1 Uhr früh im Alter von 35 Jahren. Am 6. oder, wie man heute eher annimmt, am 7. Dezember wird er auf dem St.-Marxer-Friedhof vor den Toren Wiens zu Grabe getragen. Es ist ein Begräbnis 3. Klasse, das heißt, seine sterblichen Überreste werden zusammen mit drei anderen Leichen in einem Schachtgrab beigesetzt - kein Armenbegräbnis, wie später immer wieder behauptet wird, sondern das übliche Verfahren für den größten Teil der damaligen Wiener Bevölkerung. Weil individuelle Grabpflege im späten 18. Jahrhundert nicht üblich ist und weil die Gräber nach acht bis zehn Jahren neu belegt werden, weiß bald niemand mehr, wo der geniale Komponist seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.

Dennoch taucht um 1842 Mozarts Schädel auf - allerdings zunächst nicht in der Öffentlichkeit. Der Kupferstecher Jacob Hirtl will ihn von einem befreundeten Totengräber geschenkt bekommen haben. Wieso Jacob Hirtl und später sein Bruder, der Anatom Joseph Hirtl, so sicher waren, daß sie tatsächlich Mozarts Schädel besaßen, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Jedenfalls bleibt die Reliquie bis zur Jahrhundertwende im Besitz der Familie Hirtl und wird danach in Mozarts Geburtshaus in Salzburg ausgestellt, bis man sie irgendwann wieder wegpackt, weil die Zweifel an der Echtheit doch zu stark werden.

Doch dabei bleibt es nicht. Irgendwann gerät der Schädel in die Hände des Paläontologen Dr. Gottfried Tichy, Professor am Institut für Geowissenschaften der Universität Salzburg. Der ist zunächst mißtrauisch - er weiß, was alle zu wissen glauben: Mozart wurde in einem Massengrab bestattet, nicht einmal die Witwe wußte genau wo, und jetzt dieser Schädel unwahrscheinlich. Doch die Indizien belehren ihn bald eines anderen. An der Verknöcherung der Nähte und am Zustand der Zähne läßt sich ablesen, daß der Schädel von einem 35- bis 40jährigen, grazilen Mann stammt. Die Profillinie - eine steile Stirn, eine schwach eingezogene, aber lange Nase (damals sprach man vom „enorm benasten“ Mozart), ein vorspringender Oberkiefer - all das stimmt mit den Zeichnungen überein, die Mozart im Profil zeigen, etwa mit der Silberstiftzeichnung von Dorothea Stock. Außerdem ist der Schädel klein, aber für Mozarts Körpergröße - er maß vermutlich nur wenig über 1,50 Meter - doch wieder relativ groß, und in der Tat wird Mozart als sehr großköpfig beschrieben.

Auffällig sind auch zwei Höcker oder Beulen am Schädel, die auch auf manchen der Porträts zu erkennen sind Folgeerscheinungen einer „prematuren Synostosis der metopischen Sutur“, wie die Mediziner sagen, das heißt einer zu frühen Verschmelzung der Stirnbeine beim Säugling. Dadurch kann eine Art Platzmangel im Schädel entstehen, die durch die Beulen und durch etwas hervorstehende Augen - auch das ist auf manchen Porträts deutlich zu sehen - wieder ausgeglichen wird.

Diese Deformation ist äußerst selten und vom medizinischen Standpunkt aus völlig harmlos; erst vor wenigen Jahren wurde sie überhaupt wissenschaftlich beschrieben, allerdings bisher nur für Neugeborene. Und so kommt Mozart 200 Jahre nach seinem Tod noch einmal zu einer Premiere, zu einer wissenschaftlichen diesmal. In der Aprilausgabe des renommierten 'American Journal of Forensic Sciences‘ werden anhand von Mozarts Schädel zum ersten Mal die Symptome der prematuren Synostosis bei einem Erwachsenen beschrieben...

Bloß, warum soviel Aufregung um einen alten Knochen? Ob der Schädel nun echt ist oder nicht, ändert schließlich keine einzige Note an der Zauberflöte, am Don Giovanni oder an den Klavierkonzerten. Andererseits - wenn der Schädel wirklich von Mozart stammt, dann sind vielleicht doch noch einige Auskünfte über das Leben des Komponisten zu erwarten.

So hat Professor Tichy beispielsweise einen verheilten Bruch an der linken Seite des Schädels festgestellt, eine Verletzung, die vermutlich ein bis eineinhalb Jahre vor dem Tod eingetreten ist. Ist Mozart vielleicht doch nicht vom neidischen Salieri oder vom eifersüchtigen Hofdemel oder von wem auch immer vergiftet worden, sondern an den Folgen einer Kopfverletzung gestorben?

Das Mozarteum in Salzburg, der offizielle Sachwalter des Mozarterbes, hat jedenfalls weitere Wissenschaftler mit Untersuchungen am Schädel beauftragt. Ergebnisse werden allerdings erst in einigen Jahren erwartet, und bis dahin werden wir uns weiterhin mit Spekulationen begnügen müssen. Denn bis zum Abschluß ihrer Arbeiten sind die Forscher vertraglich zum Schweigen verpflichtet.

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