Thatcher fürchtet „deutsch-französische Achse“

Die britische Premierministerin versucht nach dem Europa-Gipfel verlorenes Terrain wieder gut zu machen / Sie schürt die Angst vor deutsch-französischer Hegemonie und verspricht, nach Kräften die Verwirklichung der europäischen Währungsunion zu behindern  ■  Von Ralf Sotscheck

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher setzt sich wieder von Europa ab und sucht ihre Isolierung auf dem Europäischen Gipfel in Madrid eigenartig umzudeuten.

Dem 'Sunday Express‘ erklärte Frau Thatcher: „Viele andere Länder wollen wirklich nicht, daß alles von einer Art deutsch-französischer Achse bestimmt wird. Einer Anzahl kleinerer Länder ist der bedeutende Part klar, den Großbritannien sowohl in Europas Geschichte als auch bei ihrer Befreiung gespielt hat und immer noch spielt.“

Sie wandte sich auch gegen die Ansicht, daß sie auf dem EG -Gipfel isoliert gewesen sei: „Ich war nicht allein.“ Warum nicht, hatte sie schon in der vergangenen Woche dem Unterhaus zu erklären versucht: „Nicht ich war isoliert, sondern der französische Präsident Mitterrand.“ Mitterrand habe versucht, eine Frist für die Einführung der europäischen Währungsunion (EWS) durchzusetzen, sei aber an ihrem Widerstand gescheitert. Sie habe Unterstützung von Ländern wie Dänemark und den Niederlanden erhalten, die sich gegen den Abbau ihrer Souveränität zur Wehr gesetzt haben.

Thatcher legte ihren Erfolg auf dem EG-Gipfel durch eine Auflistung von Nicht-Ereignissen dar: Es habe keine Entscheidung über den Europäischen Binnenmarkt im Jahr 1992, keinen Schritt in Richtung auf ein föderativen Europa, keinen Abschluß der Sozial-Carta und keine Änderung der britischen Grenzkontrollen gegeben. Die 'Sunday Times‘ triumphierte, Mitterrand habe sich „mit eingekniffenem Schwanz davongeschlichen“.

Thatcher stimmt einer „schrittweisen Verwirklichung von EWS“ zu, doch je kleiner die Schritte, desto besser. Den Beitritt zur Währungsschlange macht sie von einer Senkung der britischen Inflationsrate abhängig. Ein Londoner Wirtschaftsexperte sagte: „Sie hätte genausogut erklären können, daß Großbritannien nicht in die Währungsschlange eintritt, solange sie Premierministerin ist.“

Frau Thatcher wird in den nächsten Monaten in Europa Unterstützung für ihren Kurs suchen. Einen möglichen Verbündeten sieht sie in Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl, der sich in einem Interview mit der 'Financial Times‘ erneut gegen eine einheitliche europäische Zentralbank und eine gemeinsame Währung ausgesprochen hat. Thatchers Verweigerungspolitik stößt jedoch auch in den eigenen Reihen auf Kritik. Michael Heseltine, ehemaliger Minister in Thatchers Kabinett, drängte auf Großbritanniens Beitritt in die Währungsschlange, da sonst Londons Bedeutung als Finanzmarkt in Gefahr sei.

Frankreich hat am Samstag von Spanien für sechs Monate den Vorsitz in der Europäischen Gemeinschaft (EG) übernommen. Zu den Hauptzielen Frankreichs gehört die Verabschiedung einer Charta der sozialen Rechte, deren Verhinderung Maggie Thatcher eben als einen ihrer Erfolge auf dem Madrider Gipfel gefeiert hat. Um Großbritannien zum Aufgeben seines Widerstandes zu bewegen, will Mitterrand eine strikte Trennung der Charta von den sozialpolitischen Direktiven, die die EG-Kommission bis zum Jahresende vorbereiten soll. Daneben will Paris Initiativen zum Umweltschutz ergreifen und die Wirtschafts- und Währungsunion voranbringen.

(dpa)