China-betr.: "Sanktionen treffen eher die Bevölkerung", taz vom 23.6.89 und Leserbrief taz vom 29.6.89

betr.: „Sanktionen treffen eher die Bevölkerung“, taz vom 23.6.89, Leserbrief von Norbert Freund, taz vom 29.6.89

Kein Zweifel: ein wirklich umfassender Wirtschaftsboykott gegen die VR China würde enorme Folgen haben - aber günstige? Dabei bräuchte man sich nicht mal die Mühe machen, alle chinesischen Exporte wie Kleidung, billige Elektronik oder Espadrillas liegen zu lassen (und so über die Deviseneinnahmen das Importvermögen der VR zu beschneiden), es gibt statt solcher indirekten einen direkten und schmerzlichen Hebel: Stopp aller Getreideverkäufe an China. China ist weltweit größter Getreideimporteur.Die Getreideproduktion Chinas bleibt seit Jahren unter den Planzielen, nirgends sonst ist das Verhältnis von Anbaufläche zu Bevölkerung so ungünstig, die Lagerbestände sind in den letzten Jahren schon zurückgegangen. Alle Wirtschaftssanktionen gegen die VR riskieren eine Hungersnot, aber so ginge es am schnellsten.

Hinter den roten Mauern des Kaderviertels würde niemand hungern, auch die eben noch protestierenden ArbeiterInnen und StudentInnen der industriellen Zentren kämen im wesentlichen davon. Verhungern würden DörflerInnen in abgelegenen Regionen der unermeßlichen „Provinz“ Chinas, von denen viele die Ereignisse der letzten Monate in Beijing noch nicht einmal mitbekommen haben werden. Aber was soll's. Zeigt denn nicht ein Blick ins Geschichtsbuch, daß in China Dynastien stürzen, wenn der Hof korrupt ist und hungernde BäuerInnen revoltieren? Wer also ernstlich meint, es müsse erst ganz schlimm kommen, ehe es besser werden kann, der soll den Boykott von Getreide, Dünger und Insektiziden fordern.

Ehe es die Machthaber aber endgültig von der Beijinger Bühne fegt, wäre eine solche Kampagne ihnen zumindest innenpolitisch sogar eher hilfreich. Denn nach über 100 Jahren bitterem Kampf gegen ausländische Domination wäre ein „nationales Zusammenstehen gegen die Wirtschaftssanktionen der kapitalistischen Länder“ der ideale Ausweg aus der derzeitigen Legitimationskrise, wer wird noch politische Rechte fordern, wenn's ums Überleben geht?

Der Schuß kann also, abgesehen von den menschlichen Kosten, auch noch nach hinten losgehen. Und die, um die es uns geht, stehn allemal im Regen. Eingeklemmt zwischen Propagandawelle und Verfolgung haben sie ihre Öffentlichkeit verloren, verkriechen sich ums Überleben und haben: keine Informationen, keine Gespräche, keine Mittel, keinen Trost.

Deshalb ist es wichtig, auf Arbeitsebene Kontakte zu halten und auszubauen, von diesen „Vier Kein“ ausgehend, fallen mir einige „Alternativen zu knallharten Sanktionen“ ein: Verstopfen wir die Briefkästen der chinesischen Regierung mit Protestbriefen, unterstützten wir ai mit Briefen und Telegrammen um jede/n VerhafteteN. Die Schlächter lieben es nicht, wenn man ihre Hände blutig sieht.

Ich war während der „heißen Zeit“ in China und erstaunt, wieviel die chinesischen Sendungen der Stimme Amerikas gehört wurden, an vielen Orten war dies die einzige Quelle für von der chinesischen Regierung unabhängige Informationen. Wie wäre es mit einer Sammlung für Aufbau und Betrieb eines Kurzwellensenders vor der Küste Chinas in redaktioneller Verantwortung der entkommenen StudentInnenführerInnen? Nach „Waffen für El Salvador“ jetzt ein „Radio für die Rebellen“. Ein solcher Sender würde die „Altenbande“ wirklich treffen.

Daniel, Berlin