Der endgültige Abgang des Mr.Njet

■ Am Sonntag starb der dienstälteste Außenminister der Welt, Andrey Gromyko / Vom Diplomaten unter Stalin zum „Königsmacher“ für Gorbatschow

Langsam öffnen sich die Türen der US-Vertretung in Genf. Entnervt tritt US-Außenminister Shultz vor das Portal, langsam gefolgt von Andrey Gromyko. Mit einem knappen Kopfnicken verabschiedet Gromyko sich und stelzt zielstrebig auf den geöffneten Schlag seiner Wolga-Limousine zu. Am Tor drängeln sich ein großer Pulk internationaler Journalisten. „Können Sie bestätigen, daß die UdSSR die Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen abbrechen werden“, schreit ihm ein US-Korrespondent zu. „Ich kann bestätigen, daß ich Gromyko heiße“, ruft „Grim-Grom“ - so sein Spitzname in der US -Presse - zurück und entschwindet im Wagen.

42 Jahre stand Gromyko im Rampemlicht internationaler Politik - 42 Jahre, in denen die internationale Öffentlichkeit den Eindruck bekam, sowjetische Außenpolitik ließe sich überhaupt nur in dürren Kommuniqueformeln darstellen. Über Jahrzente führten Beobachter dieses Verhalten Gromokys darauf zurück, daß der Mann an jeder Stelle seiner langen Karriere sich ausschließlich an die Vorgaben von oben hielt, eigene Kreativität früh als karrierehemmend, ja möglicherweise lebensgefährlich erkannt hatte und damit zur Inkarnation des Apparatschicks wurde. Von Chruschtschow wird kolpoltiert, Gromyko hätte sich auf Befehl widerspruchslos auf einen Eisblock gesetzt und wäre dort eher angefroren, als sich vom Fleck zu bewegen.

Seine Lektion hatte Gromyko noch unter Stalin gelernt. 1939 trat er in das von Molotow geleitete Außenministerium ein und machte rasch Karriere. Vom Leiter der Amerika-Abteilung avancierte er 1943 mit nur 34 Jahren bereits zum Botschafter in den USA. In seinen im letzten Jahr veröffentlichten Erinnerungen und in einem Gespräch mit dem 'Spiegel‘ im Frühjahr dieses Jahres äußert er sich über die Stalin-Ära nach wie vor sehr vorsichtig. Stalin habe die Revolution gefördert und Ziele angestrebt, die Ziele des ganzen Volkes waren. Allerdings: „In seinem Handeln war er ein wirklicher Verbrecher.“

Vor diesem Verbrecher hat Gromyko abgrundtiefe Angst gehabt. Einmal, so erzählt er, habe der damalige Vizeaußenminister Wyschinski ihn bei Stalin als Trotzkist anschwärzen wollen. „Das hätte für mich schwere Folgen haben können“. Wenn den „Kommunist vom Scheitel bis zur Sohle“ so seine Selbsteinschätzung - außer der Parteidirektive außenpolitisch noch etwas anderes motiviert hat, so die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. „Ich möchte den jungen Deutschen in Erinnerung rufen“, so erklärte er dem 'Spiegel‘, „welche Rolle die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gespielt hat. Er liegt wohl scheinbar weit zurück in der Geschichte, doch ich habe das Donnern seiner Kanonen nach wie vor in meinen Ohren. Millionen Menschen, darunter eben zwei Brüder von mir, haben in diesem Krieg ihr Leben gelassen, in diesem Krieg, durch den der Faschismus und der Hitlerismus zerschmettert wurden.“

Entsprechend war seine Haltung gegenüber den Deutschen. Mit Ausnahme Willy Brandts, dem er offenbar den Willen zur Aussöhnung mit der Sowjetunion glaubte, sah er sich mit Oberleutnants der Wehrmacht konfrontiert. Schmidt, so erzählt er, konnte ihm sogar noch den Namen des Dorfes vor Moskau nennen, bis zu dem seine Einheit vorgedrungen war, Weizsäcker gehörte zu den Belageren Leningrads, und Adenauer war für ihn schlicht ein Repräsentant derselben Klasse, die auch Hitler hervorgebracht hat.

Getrieben von den Erinnerungen an den heißen, wurde Gromyko zu einem Virtuosen des kalten Krieges. In Jalta und Potsdam gehörte Gromyko zur Sowjetischen Delegation, die die Nachkriegsordnung Europas aushandelte. Die sah er durch die Amerikaner in Frage gestellt. Spätestens mit dem Zerbrechen der Anti-Hitler-Koalition war sein Glaube an die Moral in der Politik dahin. Einem Diplomaten, der ihn Ende der 40er Jahre davon zu überzeugen suchte, daß die USA aufrichtig auf eine internationale Kontrolle der Atomenergie drängten, antwortete Gromyko: „Sie meinen es vielleicht aufrichtig, Sir, Regierungen nie.“ Mit diesem Credo machte sich Gromyko als ständiger Vertreter der UdSSR im UNO-Sicherheitsrat seinen Namen als „Mr.Njet“.

Welchen persönlichenEinfluß Gromyko ab 1957 als Außenminister in der Zeit des kalten Krieges in den entscheidenden Konflikten hatte, wird auch aus seinen Memoiren nicht deutlich. Sicher hat er den Bau der Mauer in Berlin unterstützt und die expansionistische Politik der UdSSR in den 70er Jahren mit konzipiert. Ins Zentrum der Macht rückte er nach dem Abgang Breschnews, als erst Andropow und dann Tschernenko ihm aus Krankheitsgründen die Außenpolitik weitgehend allein überließen. Im Konflikt um die Mittelstreckenraketen ging Gromyko genauso auf Konfliktkurs wie sein Gegenüber Reagan.

Schon deshalb gehört es bis heute zu den erstaunlichsten Taten Gromykos, daß ausgerechnet dieser Apparatschik und kalte Krieger den entscheidenden Ausschlag für die Wahl Gorbatschows gab. Damit trat er auf dem Höhepunkt seiner Macht praktisch ab, obwohl er noch eine zeitlang Außenminister blieb, um dann in das Repräsentationsamt des Staatspräsidenten gehievt zu werden. Loyalität bewies er bis zum Schluß: Wiewohl die neue Außenpolitik sein Lebenswerk praktisch auf den Kopf stellt, fand er für Gorbatschow nur lobende Worte: von der Vitalität des neuen Generalsekretärs, teilt er seinen Memoirenlesern mit, sei er „entzückt“.

Jürgen Gottschlich