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Harun Farocki

 ■  Am Ende doch Gewinn

Steven Bach war bei United Artists Produzent und mit der Herstellung von Michael Ciminos Heaven's Gate befaßt. Der Film kostete sechsmal soviel wie veranschlagt war und spielte kaum etwas ein. Bach wurde gefeuert und schrieb über die Produktionsgeschichte des Films ein Buch. Es beginnt mit einer Episode im Jahr 1980: Da beschlossen die Bosse von Transamerica, einem Mischkonzern, dem auch United Artists gehörte, die Filmfirma in Transamerica Films umzubenennen. Umfragen hatten ergeben, daß kaum jemand United Artists mit Transamerica identifizierte, und Kursgewinne der Tochterfirma hatten keine der Muttergesellschaft zur Folge. Nichts würde mehr daran erinnern, daß die vereinigten Filmkünstler Chaplin, Fairbanks, Griffith und Pickford die Firma begründet hatten. Mit dem Namen sollte der Anspruch gelöscht sein, daß die Produktion vom Autoren (im amerikanischen Sprachgebrauch: Künstler) auszugehen hat.

Bach beweist mit seinem Buch, daß es ihm mit einer engen Verbindung von Geld und Sinn oder Erfolg und Qualität ernst ist, nicht nur mit dem, was er proklamiert. Er bringt ein Dutzend Produzenten-Personen ins Spiel und kann deren Handlungen Interesse abgewinnen und Glaubwürdigkeit verleihen. Er beherrscht das amerikanische Virtuosenstück, einen Dialog über zwei Seiten zu führen und die sprechenden Personen allein mit ihrem Sprechen so zu charakterisieren, daß es nicht nötig ist einzufügen, wer gerade spricht. Bach ist Dramaturg. Es geht ihm um Tempo, Rhythmus, Deutlichkeit, Nachdruck und Bedeutung. Er hat eine Geschichte zu erzählen, deren Ausgang bekannt ist: Der Film wurde ein Mißerfolg, der die Filmfirma stürzen ließ. Der Erzähler gibt der übergroßen Anstrengung, einen Film auf den Weg zu bringen, fertigzukriegen oder auch nur zu verhindern, daß die Kosten sich noch einmal verdoppeln, die größte Präsenz. Diese kann das Vorwissen vom schlechten Ende doch nicht aufheben, und damit wird das Pathos der Vergeblichkeit erzeugt und die allergrößte Schadenfreude. Bach ist ein Moralist, der seinen Lesern das Mitleiden mit den Helden schwer macht. Als er Cimino das erste Mal trifft, denkt er, der Mann könne kein Rebell sein, wenn er mit einem Rolls Royce Corniche herumfahre, und bemerkt, daß Cimino Stiefel mit Einlagen trägt, um größer zu erscheinen.

Bei der reinen Schadenfreude soll es nicht bleiben, aus ihr kann verstanden werden, was an der amerikanischen Produktion heute fehlgeht. Der Buchautor Bach leistet damit, was er von den Leuten verlangt, die er organisiert: Empfindungen sollen nicht einfach erzeugt sein, sie müssen ihre Begründung im Stoff finden. Es ist zum Lachen, daß die großen amerikanischen Filmproduktionen heute über die Herstellung eines Films nicht gebieten können. Bach erinnert an den Produzenten Thalberg, der sich am Freitag Aufnahmen von Greta Garbo ansah, am Sonntag ein Umschreiben der Szene anordnete und am Montag deren Neuaufnahme, am Dienstag die Muster davon sah und am Mittwoch eine neue Schnittversion des Neugedrehten verlangte. Thalberg und andere Produzenten des alten Studiosystems waren die Oberregisseure ihrer Filme, die an der gegenständlichen Filmarbeit teilhatten. Heute versuchen die Produzenten, vom Schreibtisch und Konferenztisch aus, einen Film anzuleiten. Als Bach Heaven's Gate 'machte‘, war er buchstäblich von der Filmarbeit abgeschnitten: Nicht nur, daß er ständig zu anderen Filmen nach Europa mußte, seine Schreibtische standen in New York und Los Angeles, während in den Rocky Mountains gedreht wurde, und Cimino konnte erst dann nicht mehr verhindern, daß Bach sich Muster ansah, als das Budget um viele Millionen überzogen war. Bach war von den Bildern sehr beeindruckt. Wahrscheinlich hatte er es verlernt, mit den Augen zu arbeiten.

Ein paar Jahre zuvor als Bach Ciminos The Deer Hunter sah, dachte er noch während der Vorführung darüber nach, auf was für ein Skript das Gesehene wohl zurückging. („Ich wollte prüfen, was als Blaupause, als Schlachtplan aufgesetzt war, was hingeschrieben war, um die Leute zu überzeugen, die das Geld aufbrachten.“) United Artists kaufte Cimino nicht auf Grund irgendwelcher Papiere, sondern wegen des Erfolges von The Deer Hunter. Hier ist an Chaplin zu erinnern, der ein Jahr lang The Pilgrim drehen konnte, um beim Drehen das Skript seines Films zu entwickeln, das sogleich Film wurde.

Sieht man - gleich in welcher Fassung - Ciminos Heaven's Gate, so kann man sich fragen, wo das Geld geblieben ist. Aus dem Buch ist auch zu erfahren, daß es gestohlen wurde Cimino kaufte heimlich Land und vermietete es an die Produktion als Drehort. (Die Lebensform der Produzentenleute ist auch eine Form von Diebstahl.) Das meiste Geld hat Cimino dafür verbraucht, daß er bei aufwendigem Drehen nicht fand, was er suchte. Er muß nach etwas ganz anderem gesucht haben als dem, was er drehte. Solche Filme können auch Erfolg haben. Für Heaven's Gate wurden 44 Millionen Dollar verloren geschrieben (inclusive der Werbekosten). Zum ersten Mal identifizierte das Filmpublikum Transamerica mit dem Filmgeschäft, mit eben diesem Mißerfolg. Schon lange wollte Kerkorian von MGM kaufen, jetzt war Transamerica zum Abstoßen bereit. Kerkorian zahlte 100 Millionen über dem Schätzwert und schrieb die Firmierung MGM/UA zusammen. Am Ende, so Bach, hat Heaven's Gate noch Geld verdient.

Steven Bach: Final Cut - Dreams and Desaster in the making of Heaven's Gate, London 1985

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