Lust zur großen Geste

■ „Straße ohne Wiederkehr“ von Sam Fuller

Gleich die Eröffnungssequenz - eine nächtliche Straßenschlacht zwischen Weißen und Schwarzen - wirkt wie eine späte Bestätigung der schon legendären Definition des Kinos, seines Kinos, die Sam Fuller in Pierrot le Fou gab: Auch in seinem 23.Film herrscht Krieg, unentwegt und unerbittlich. Die erste Einstellung macht es unmißverständlich: Die Großaufnahme eines schmerzverzerrten Gesichts, auf das in Zeitlupe mit einem Hammer eingeschlagen wird.

Dennoch: die Definition ist mitlerweile zum Gemeinplatz geworden, zur wohlfeilen Erklärung des Fullerschen Erzählens, sie ist in die Jahre gekommen. Aber: wenn sie auf Fullers Filme heute noch zutrifft, bedeutet dies dann nicht auch, daß diese selbst in die Jahre gekommen sind? Straße ohne Wiederkehr eignet etwas Unzeitgemäßes, ein Film, ausgeführt mit groben Pinselstrichen, der sich den Schemen einer aktuellen Realität anzuverwandeln sucht. Hierin erinnert er an die letzten Filme anderer großer Regisseure, die wie Fuller als Journalisten begonnen haben: Billy Wilder und Richard Brooks. Ehemals Autoren eines packenden, gegenwartsnahen Schlagzeilenkinos, setzen sie in den achtziger Jahren entweder auf Gags, die mindestens ein Jahrzehnt zu alt sind (Wilder), oder versuchen, aktuellen Themen mit einer unentschlossenen Mischung aus Actionthriller und Satire beizukommen (Brooks).

Der Schauplatz von Fullers neuem Film, Lissabon, gewinnt nie genaue Konturen, bleibt austauschbar, ein Niemandsland. Die Rassenunruhen, die den Film eröffnen (und sich fortan wie ein blutroter Faden durch ihn ziehen), sind demzufolge eine bloße Folie, ein Hintergrund, der nie präzis ethnisch und sozial lokalisierbar wird (Von weißen Geschäftemachern inszeniert, geraten sie am Ende zum reinen Macguffin). Die Geschichte schließlich ist so sehr den Konventionen des film noir verhaftet - der Titel läßt dies schon ahnen -, daß sie heutzutage eigentlich nur noch als nostalgische Hommage erzählbar scheint.

In seinem früheren Leben war Michael (Keith Carradine) ein erfolgreicher und gefeierter Popsänger, heute ist er ein versoffener Clochard, der nur noch daran denkt, wie er den nächsten Schluck bekommen kann. Obwohl er bei den nächtlichen Unruhen nur Zuschauer ist, gerät er unter Mordverdacht. In der gleichen Nacht trifft er auch die Menschen wieder, die schuld daran sind, daß er damals aus der Bahn geriet: Celia (Valentina Vargas), in die er sich verliebt hatte, und seinen Rivalen Eddie (Marc de Jonge), einen undurchsichtigen Geschäftsmann, der ihm seinerzeit aus Eifersucht die Kehle durchschnitt und ihn seiner Stimme beraubte.

Fuller und sein Co-Autor Jacques Bral (der als Regisseur von Polar bereits seine gebrochenes Verhältnis zum film noir bewies) haben den gleichnamigen Roman von David Goodis adaptiert (zu dessen Entstehung Fuller - nie darum verlegen, die Legenden um seine Person auszuschmücken - als junger Reporter beigetragen haben will: Der Romancier fand in seinem Zeitungsarchiv einen alten Artikel seines späteren Freundes Fuller über Rassenunruhen in Harlem, deren Anlaß mysteriös blieb). Goodis, ein exponierter Vertreter der Schwarzen Serie, von Truffaut schon hochgeschätzt (Schießen Sie auf den Pianisten), ist bei den französischen Cineasten wieder in Mode gekommen. Die düstere Atmosphäre seiner Romane wich in den Verfilmungen von Beneix (Der Mond in der Gosse) und Francis Girod (Abstieg zur Hölle) einer schwülstigen Erotik, während das Drehbuch von Bral und Fuller die alptraumhaften Elemente der Vorlage betonen: Die Gespenster der Vergangenheit begegnen Michael wie im Alkoholdelirium. Die besten (oder vielleicht die einzig wirklich guten) Regie- und Drehbucheinfälle haben alle mit der Alkoholsucht des Protagonisten zu tun: Sein erstes Besäufnis zur Betäubung seiner romantischen Wunde, das der Schnitt so sehr fragmentiert, daß man gar nicht mehr weiß, die wievielte Flasche er nun trinkt, und sein verzweifelter Versuch, an die einzige unversehrte Flasche in einem geplünderten Getränkeladen zu gelangen. Bei Goodis geriet der Held durch Zufall in Mordverdacht; die Drehbuchautoren haben diesen Moment jedoch brillant verdichtet: Nach der Straßenschlacht entdeckt Michael eine zerschlagene, noch nicht ganz leere Flasche neben einem Mann, der auf dem Bordstein liegt. Zuerst hält er ihn für einen Betrunkenen, will mit ihm um den Rest feilschen, stellt dann fest, daß er tot ist, ein toter Polizist obendrein, und schon erfassen ihn die Scheinwerfer eines Streifenwagens.

Fullers Handlungsführung und seine Inszenierung sind zu pragmatisch, als daß sie für die Passivität der Goodis -Helden und ihren exzessiven Masochismus Platz finden würden. Eines der schönsten Motive der Vorlage, das Verhältnis von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, bleiben demzufolge auf der Strecke: Der Romanheld empfindet das, was er sagt, als etwas seinen Gedanken Fremdes, Entäußertes, und er muß in mehr als einer Hinsicht seine Stimme wiederfinden. Deshalb mag es nicht allein an Keith Carradine liegen, daß der Film nicht von seinem Protagonisten getragen wird. Er bleibt farblos, obwohl eine beträchtliche Spannung denkbar wäre zwischen dem ihm eigenen Narzißmus (der ihn zum idealtypischen Darsteller für Alan Rudolph macht) und den physischen Merkmalen der Rolle (er muß gut die Hälfte des Films lang unrasiert, mit langen, strähnigen, schlohweißen Haaren und brüchiger Flüsterstimme agieren). Im übrigen ist es bei obsessiven Liebesgeschichten dieses Genres immer fatal, wenn der Zuschauer die Leidenschaft des Helden für die Frau, die ihm zum Verhängnis werden soll, ganz und gar nicht teilen kann.

Nein, sein Zentrum findet der Film in der Figur des Polizeichefs Borel, den Bill Duike spielt. Als ehemaliger Starspieler der „Harlem Globetrotters“ (bekannt für sein lasziv-bedrohliches Spiel als Zuhälter in Schraders Ein Mann für gewisse Stunden) besitzt er eine massive physische Präsenz, die den gesamten Film dominiert und selbst versierte Schauspieler wie Bernard Fresson ins zweite Glied verweist. Sein Chargieren verrät echt Fullersches Temperament: Er schwadroniert ebenso lärmend, schamlos und lustvoll, wie es Fuller selbst in seinen gelegentlichen Gastauftritten für andere Filmemacher tut.

Gerhard Midding

Sam Fuller: „Street of no return“, Buch: Fuller und Jacques Bral (nach dem Roman von David Goodis), mit Keith Caradine, Valentina Vargas, Portugal 1989, circa 91 Minuten