Manifest - Grüner Aufbruch

Keine Wende zur Ampel-Partei nach Realo-Art  ■ D O K U M E N T A T I O N

Bei dem Aufbruch, den wir weiterhin vorschlagen - ob mit oder ohne Urabstimmung, d.h. ob mit oder ohne Weigerung auch anderer, von sich zu sprechen -, geht es um die Rückkehr zur alten und Umkehr zu einer neuen Radikalität der Grünen Partei. Die Wende der Grünen zur Ampel-Partei nach Realo-Art lassen wir uns nicht gefallen. Die Besetzung des Wortes „radikal“ nach Fundi-Art, um dann keine politischen Schritte vorzuschlagen, war lächerlich und ist mit Recht gescheitert. Wenn manche jetzt die Realo-Politik einfach übernehmen und ihr gleichsam nur noch vorwerfen, daß sie sich zu wenig mit Fundi-Phrasen schmückt, ist uns das auch zu wenig. (...)

I.Als die Grüne Partei entstand, hat sie noch gewußt, daß die Nacht in Bonn nicht der archimedische Punkt ist, aus dem sich Probleme restlos kurieren oder von dem aus sie sich besonders klar aufwerfen ließen. Wohl aber ist Bonn ein wichtiger Problemteil. Ohne dort zu intervenieren, hätten die ökologische, die Frauen-, die Friedensbewegung nicht handlungsfähig bleiben können. Was sich freilich die Routiniers der letzten Bonner Jahrzehnte unter „Politikfähigkeit“ vorstellten, war nicht unsere Sache. Sie sollte es auch nicht werden. Wegen ihrer Unfähigkeit sind wir auf den Plan getreten. Darauf müssen wir uns rückbesinnen. SPD und CDU haben manche Fragestellung und sogar einige Antworten von uns übernommen, aber sie haben sich nicht grundsätzlich gewandelt. Auch eine SPD, die zum möglichen Koalitionspartner der Grünen wird, bleibt ihren traditionellen Politikformen verhaftet. Jahrzehntelang war ihr das zweitönige Machtspiel der beiden großen Parteilager um „Regierung und Opposition“ wichtiger als der schnelle konsequente Eingriff in Problemlagen. Es ist eben diese Haltung, die wir uns vor allem angesichts der Ökologieprobleme nicht mehr leisten können. Auch vom Parlament aus müssen wir unsere Politik auf gesellschaftliche Mehrheiten stützen, von denen es viele gibt, die in der Lagerarithmetik nicht aufgehen; wo es sie nicht gibt, müssen wir vordringlich an ihrer Entstehung arbeiten.

Keine Grüne Strömung verweigert sich mehr der Koalitionsaussicht. Wir können aus der traditionellen Politikstruktur nicht aussteigen wie aus einer Organisation: wir machen die Erfahrung, daß wir ihr noch im Widerstandangehören. Nur von innen heraus können wir ihre Auflösung betreiben. Die aber bleibt notwendig. Der Emanzipationsprozeß, den wir anstreben, wird entweder über die Grenzen des linken Lagers hinausreichen oder keiner sein. Die Lösung der Sachprobleme wird entweder gefunden werden unter Beteiligung der „anderen“ dreißig Millionen Menschen der Republik, oder es wird keine geben. Aus dieser Einsicht ergibt sich die Aussicht auf eine Art von Konflikt und politischer Kommunikation, die wir auch unabhängig von der SPD durchstehen müssen.

Da es uns um die Probleme und nicht um die Lagerodnung geht, müssen wir mit jeder Kraft zusammenarbeiten, die sie genauso oder ähnlich lösen will wie wir. Und keine Kraft, auch die Republikaner nicht, darf uns zum Alibi der Zementierung des Lagerdenkens werden. (...)

II.Unser Hauptausgangspunkt ist, bleibt und muß wieder werden dieAnwaltschaft für die Natur. Das fordert mehr als den „Umweltschutz“, den mittlerweile auch die anderen Parteien anerkennen. Tiere und Pflanzen haben nicht nur deshalb, weil wir sie brauchen, sondern um ihrer selbst willen ein Recht auf Leben. Wir sind ihre Stellvertreter in der Politik, da sie selbst nicht sprechen.

Beim Kampf um dieses Recht stoßen wir auf das Problem derVerfügungsgewalt über Produktion und Konsumgewohnheiten. Da sich auf diesem Feld die Zukunft der Natur entscheidet, ist es zwingend notwendig, es gesellschaftlich zu kontrollieren und nicht wie bisher dem Gewaltmonopol der Privatwirtschaft zu überlassen. Sozial- und Ökobilanzen, Technikfolgenabschätzung, Anwendung des Verursacherprinzips und andere Formen der demokratischen Regierung unserer eigenen Ökonomie müssen erkämpft werden. Dies ist die Gretchenfrage jeder ökologischen und demokratischen Politik. Daher auch jeder sozial-ökologischen Koalition.

Ökologisches Recht hängt mit sozialer Gerechtigkeit zusammen. Menschen, die um ihre Existenz kämpfen müssen, haben wenig Möglichkeit, sich naturverträglich zu verhlaten. Deshalb werden wir gerade die schlimmsten ökologischen Katastrophen (Ozonloch, Amazonas etc.) nicht stoppen, wenn wir uns nicht für eine radikale Veränderung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren Ländern und denen der Dritten Welt engagieren. Im eigenen Land gilt: Nur wenn die Grünen auch sozialpolitisches Vertrauen genießen, werden sie dauerhafte Mehrheiten für die ökologische Wende gewinnen. (...)

III.Die Grünen Frauen haben den Feminismus auf die politische Bühne gebracht. Niemand wagt es mehr, ihn als „Nebenwiderspruch“ abzutun. Daß von Gewalt gegen Frauen heute offener gesprochen wird, daß die Quotierung Fortschritte macht und daß trotz rechter Rollback-Versuche die Entschlossenheit der Frauen ungebrochen ist, über die eigene Sexuialität und über den eigenen Willen und Nichtwillen zur Fortpflanzung zu entscheiden, daran haben auch die Grünen Frauen Anteil. Wir bekämpfen nicht nur den Gist der Memminger Richter, sondern befürworten auch den Vorstoß der „Mütter“, die betont haben, daß es kein unzumutbares Leid ist, mit Kindern zu leben. In der Mütterdebatte protestieren Frauen gegen die Zumutung, einer männlich geprägten Industriewelt angepaßt zu werden, in der Kinder das nicht Mach- und Regelbare sind. Diese Debatte enthält ein Widerstandspotential. Wenn sie vertieft wird, werden wir alle vorankommen.

Bis heute gibt es keinen relevanten Beitrag von Grünen Männern zur Zukunft der Emanzipation der Geschlechter. Das ist ein Skandal. Wir wollen den Grünen Männerkongreß.

IV.Wir halten die Diskussion um die Lösung „Raus aus der Nato“ nicht für hilfreich: nicht weil wir die Nato jetzt für einen Friedenshort halten, sondern weil sich aus der Lösung keine nächsten Schritte entwickeln lassen. Sie spielt mit einer Metapher, die vernünftige Gefühle bündelt, aber keine Praxis erlaubt und deshalb zum Bumerang wird. Aus der Nato können wir ebensowenig und aus denselben Gründen nicht „austreten“ wie aus dem Parteiensystem. Sie ist zwar eine Organisation, aber darin erschöpft sich ihre politische und militärische Bedeutung nicht; (...) Aus ihrer Organisation auszutreten, kann in Abhängigkeit von einer Situation notwendig oder verkehrt sein, auf jeden Fall läßt es den Nato-Komplex bestehen, auch in dem Land, das austritt. Es geht aber darum, diesen Komplex aufzulösen. (...)

V.Wir lassen unsere Politik nicht auf Versuche der rechtlichen Regelung beschränken, gerade weil die Erkämpfung von Rechten unser Ziel ist. Unvorhandenes Recht kann nicht durch vorhandenes erzeugt werden. Recht kann nur festsetzen. Festgesetzt kann nur werden, was da ist. Unsere primäre Aufgabe ist die Rechterzeugung. Dazu brauchen wir mehr und andere Instrumente als die, die von Koalitionsjuristen gehandhabt werden. (...)

Das gesellschaftliche Verhalten wird sich nicht schon verändern, wenn das Denken sich verändert. Es wird sich auch nicht mit Gewalt verändern lassen. Weder mit der Gewalt der Staatsmacht noch mit „Gegengewalt“ von unten. Wir brauchen ein neues Problembewußtsein zur Frage der Gewalt. Eine Partei, in der feministische Frauen Einfluß haben, wird nicht dulden, daß Gewalt „als Geburtshelfer“ angesehen wird. Sie wird aber auch wissen, daß alle und besonders die Frauen in Gewaltverhältnissen leben. Denen bleiben wir auch als eine Partei verhaftet, die für Gewaltfreiheit eintritt, und zumal als eine Partei, die sich mit oder ohne Willen auf Staatsgewalt stützt, wenn sie mitregiert. Wir können auch aus den Gewaltverhältnissen nicht austreten, auch sie können wir nur von innen aufzulösen versuchen.

Am letzten Wochenende einigte sich die „Aufbruchgruppe“ bei den Grünen auf einen Beitrag zu der von ihr initiierten programmatischen Debatte in der Partei. Wir dokumentieren in Auszügen.