: „Auf den Philippinen herrscht Krieg“
■ Unter dem Diktat von IWF und Militärs verschlechtern sich die Lebensbedingungen im Land von Corazon Aquino ins Unerträgliche / Zwei Drittel der Bevölkerung leiden Hunger - Gewerkschaftler werden organisiert ermordet / Eine Rede von Karl Rössel, die für Ärger sorgte
Mabuhay! Dieses Wort kommt aus der philippinischen Landessprache Tagalog und heißt: „Willkommen!“ Ich wähle diese Anrede, da ich die meisten Menschen hier im Saal nicht kenne, und sie nicht schon alleine deshalb als von mir „sehr verehrte Gäste“ titulieren will. Schließlich weiß ich - und dies allerdings sehr genau - daß zumindest einige hier anwesende politische Repräsentanten - allein aufgrund ihrer praktischen Entwicklungspolitik, und um die geht es hier von mir keinesfalls „sehr geehrt“ werden. (...) Aber trotzdem lohnt es auch in diesem Fall, einmal nachzulesen, welche Interessen denn der Bundespräsident und der zuständige Minister mit der Vergabe dieses Preises verbinden: Ausgezeichnet werden sollen - laut Ausschreibung
-„Autoren, die dazu beitragen, das Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit für die Notwendigkeit der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern zu fördern“.
Ich hoffe sehr, daß meine Sendung genau dazu nicht beigetragen hat. Denn eine partnerschaftliche Zusammenarbeit können doch nur diejenigen aufnehmen, die erstens gleichgelagerte Interessen haben und zweitens die Möglichkeit, diese auch gleichberechtigt bei der Zusammenarbeit geltend zu machen. Davon allerdings kann in der bestehenden Weltwirtschaftsordnung keine Rede sein. Die sogenannte „Dritte“ Welt dient bis heute als billige Rohstoffquelle und allenfalls noch als profitabler Absatzmarkt für die sogenannte „Erste“ Welt. Und dieses Verhältnis wird von der derzeitigen bundesdeutschen Entwicklungspolitik zementiert, indem die Vergabe von Geldern immer direkter an die Interessen der hiesigen Exportwirtschaft gekoppelt wird.
Die Interessen der Arbeiterinnen, die ich bei den Recherchen für meine prämierte Sendung auf den Philippinen kennengelernt habe, und die in Manila zu Tageslöhnen von drei bis fünf Mark bei bundesdeutschen Firmen wie Adidas und Triumph arbeiten müssen, zu unsäglichen Bedingungen, ohne soziale Absicherung, ohne Gesundheitsschutz, haben mit den Interessen der Konzernherren, die daran verdienen und deren Betriebsansiedlungen auf den Philippinen von hiesigen Regierungsstellen gefördert werden, nichts gemein.
Aufgrund der hohen Verschuldung der Dritten Welt werden die bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse noch deutlicher. Seit langem zahlt die „Dritte“ Welt über Zins und Tilgungsraten unter dem Strich mehr an die Erste Welt, als sie von dort erhält. Die Institutionen, die dafür sorgen, daß dies so bleibt, heißen Internationaler Währungsfond und Weltbank. Bezeichnend ist, daß die Bundesregierung heute in so einer entscheidenden Institution wie dem IWF neun mal mehr Stimmrechte hat als etwa die Philippinen. (...)
Erst im vorigen Monat haben die Industrieländer mit der Macht ihrer Stimmen im IWF den Philippinen neue und zusätzliche wirtschaftspolitische Auflagen diktiert, die einen Lohnstopp bei gleichzeitiger Anhebung des Preises für das Grundnahrungsmittel Reis beinhalten. Darüberhinaus bestand der IWF in diesem Land auch noch auf der Beseitigung der allerletzten Importbeschränkungen. Damit wird - wie ein philippinischer Kollege kommentierte - „das Land endgültig zur Ausplünderung durch internationale Kapitalinteressen freigegeben“.
Noch mehr Hunger, noch mehr Unterernährung
Ich ergänze dazu: dies geschieht mit Wissen und Unterstützung der Bundesregierung und auch im Interesse bundesdeutscher Konzerne und Banken, die zu den größten Gläubigern des Landes gehören. Die Folgen für die Plantagenarbeiter in der Provinz und die Fabrikarbeiterinnen in der Hauptstadt, die ich bei meinen Recherchen gesprochen habe, sind klar: noch weniger Geld, noch mehr Hunger, noch schlimmere Unterernährung ihrer Kinder. Die Bauernvereinigungen und Gewerkschaften, in denen diese Menschen organisiert sind, wehren sich deshalb gegen diese Politik. Es handelt sich um offen arbeitende, legale, zugelassene Organisationen.
Und trotzdem werden ihre Demonstrationen von Polizei, Militär und paramilitärischen Todesschwadronen angegriffen, zerschlagen, zusammengeschossen. Dies alles im Auftrag der philippinischen Regierung. Das heißt: in der philippinischen Realität gibt es zwei Seiten und man muß sich - in der politischen Zusammenarbeit wie in der entwicklungspolitischen Berichterstattung - entscheiden, auf welcher Seite man steht, aus welchem Blickwinkel man die philippinische Realität wahrnimmt. (...)
Vor einigen Tagen schrieb mir ein philippinischer Kollege aus der Provinz Negros, wo ich auch selbst recherchiert habe: „Am 22.April starteten die Militärs eine großangelegte Operation mit Bomber-Flugzeugen, Hubschraubern und Artillerie im Süden der Insel, wo sie die Guerilla vermuten. Die Folgen: Über 30.000 Menschen wurden vertrieben. Sie fliehen, ein paar Habseligkeiten auf dem Rücken mit ihren wenigen Farmtieren. Es sind die klassischen Vietnam-Bilder von der Säuberungen einer Region durch das Militär, der größte Flüchtlingsstrom in unserem Land seit dem Zweiten Weltkrieg. Allein in den Auffanglagern von Sipalay und Hinobaan sind schon 15 Kinder gestorben, Hunderte leiden an Epedemien, Masern, sogar Cholera und alle an Unterernährung. Diese Vertreibung wird - mit Unterstützung aller philippinischen Regierungsbehörden - betrieben, um der NPA, der Befreiungsbewegung, die Basis zu entziehen. Diese Strategie nennt sich: Dem Fisch das Wasser nehmen.“ (...)
Als Berichterstatter parteilich sein
Auf den Philippinen herrscht Krieg, und auch wir müssen uns
-als Berichterstatter - entscheiden, welches Bild wir davon vermitteln. Das heißt auch: Parteilich sein. Als Berichterstatter aus der „Ersten“ Welt müssen wir unsere Mikrophone vor allem für diejenigen in der „Dritten“ Welt offen halten, die die Politik der Herrschenden von hier wie dort auszuhalten haben: diejenigen an der Basis. Nicht mehr habe ich auch in der hier prämierten Sendung gemacht. Die Jury hat die Tatsache, daß darin „die Betroffenen selbst dem Hörer Wahrnehmungen, Erfahrungen und Schlußfolgerungen mitteilen“, erfreulicherweise als einen Grund für eine Preisverleihung genannt. Deshalb habe ich alle diejenigen aus der Bundesrepublik und von den Philippinen, die in dieser Sendung zu hören sind, gefragt, was ich denn - aus ihrer Sicht - bei dieser Preisverleihung vortragen sollte. (...)
Die MitarbeiterInnen der „Südostasien-Informationsstelle“ aus Bochum, die das Besuchsprogramm der philippinischen Gewerkschafter in der Bundesrepublik organisiert hatten, hoffen, daß mit dieser Preisverleihung „auch eine gewisse Anerkennung der Jury für die Durchführung eines solchen Begegnungsprogramms zwischen aktiven Gewerkschaftern auf der Basisebene“ verbunden ist. Sie schreiben: „Leider werden solche Aktivitäten der Völkerverständigung nur selten durchgeführt. Präsidenten, Minister, Staatssekretäre, Parlamentarier, Wirtschaftsführer, Gewerkschaftsführer, Bischöfe, Geschäftsleute und so weiter organisieren ihre „Verständigungs- und Begegnungsprogramme“ mit ihrem jeweiligen Gegenüber viel häufiger.
Es scheint so, daß lediglich Berichte über solche Begegnungen zwischen sozial engagierten Menschen zuweilen Anerkennung und Förderung finden, die Programme selbst aber kaum. Wir würden gerne häufiger solche Programme durchführen, aber es finden sich kaum Institutionen, die bereit sind, so etwas zu finanzieren. Uns scheint deshalb, daß der Stifter dieses Preises, das BMZ, sich mit seiner Auszeichnung eher ein Alibi zu geben versucht, als tatsächlich etwas für die langfristige Absicherung unabhängiger Informations- und Aufklärungsarbeit über die Dritte Welt in der BRD tun zu wollen. (...)
Die Opel-Arbeiter, die ich auf den Philippinen begleitet habe, beklagen, daß es in den Medien „zu ruhig“ geworden sei, was die Entwicklung in dem südostasiatischen Inselstaat angehe. Einer schreibt mir: „Zur Zeit gibt es keine Ereignisse auf den Philippinen, welche Schlagzeilen in der bürgerlichen Weltpresse machen. Die Lage hat sich normalisiert, das heißt: das Volk hungert und wird verfolgt, gewerkschaftliche Aktivisten werden entlassen, gefoltert oder gar ermordet. Die Philippinen-Reise liegt zwar fast zwei Jahre hinter uns, aber jetzt werden viele Erinnerungen wieder wach: die Tag und Nacht lärmende und stinkende Metropole Manila, mit ihren starken Kontrasten zwischen Protzgebäuden und den überwiegenden baufälligen Slumgegenden.
Die Erscheinungsformen der Armut: Menschen übernachten auf den Straßen, sie waschen sich in Wasserlöchern, die durch Rohrbrüche entstehen, sie sammeln verwertbaren Müll. Es gibt Kinderarbeit, und in den meisten Betrieben wird nicht einmal der gesetzliche Mindestlohn bezahlt.
Und die, die sich um die Verbesserung ihrer Lage bemühen, führen einen verzweifelten Kampf. Einen Kampf, den die philippinische Regierung mit allen brutalen Formen zu ersticken versucht: mit Entlassungen, Festnahmen, Folterungen und Ermordungen. Polizei und Militär sind ständig präsent. Immer nach dem Motto: Schließen sich die Reichen zusammen, dient es dem Fortschritt, verbinden sich aber die Armen, ist es Kommunismus und Anarchie.“
Auch ein anderer Opel-Arbeiter beklagt, daß er nicht durch die Medien, sondern nur durch die Briefe seiner „philippinischen Kollegen“ bis heute einigermaßen regelmäßig über deren Land informiert sei. Er schreibt: (...) „Den Arbeitern und Gewerkschaften wurde das Streikrecht weitgehend genommen. Barrikaden vor den Betrieben werden mit militärischer Gewalt abgerissen, die Streikposten niedergeprügelt oder gar bei nächtlichen Überfällen umgebracht. Deshalb nehmen sich die Menschen das Recht, sich zu bewaffnen, um ihre Existenz und den Aufbau ihrer Organisation zu verteidigen. Aber die Guerilla-Bewegung ist leider noch nicht stark genug, um wirkliche Veränderungen durchzusetzen.“
Das „Ecumenical Institute for Labour Education and Research“, ein ökumenisches Institut für Arbeiterbildung und Forschung in Manila, hat das Besuchsprogramm der Opel -Arbeiter auf den Philippinen organisiert. In der letzten Woche kam auch von dort ein Brief mit der Bitte, die wichtigsten Punkte daraus hier bekannt zu machen. Die philippinischen KollegInnen hoffen darauf, daß die Rundfunk -Berichte über ihr Land „die Menschen in der Bundesrepublik endlich zum Handeln bewegen“. Sie schreiben: „Zwei Drittel der Menschen in unserem Land leben weiterhin unter der Armutsgrenze. Der Mindestlohn beträgt zur Zeit 64 Pesos pro Tag“ - das sind etwa sechs Mark - „während eine vierköpfige Familie nach einer wissenschaftlichen Untersuchung das Dreifache“, nämliche 18 Mark pro Tag, „braucht, um halbwegs vernünftig überleben zu können.“
Auch in dem Brief aus Manila wird davon berichtet, daß die Menschenrechtsverletzungen auf den Philippinen weiter zugenommen haben. Wörtlich heißt es: „Sie sind sogar noch brutaler ud direkter geworden. Gab es im ersten Jahr der Aquino-Regierung (1986) 360 Fälle von Übergriffen gegenüber Gewerkschaftern, so waren es 1988 schon 798 registrierte Fälle.“ Danach wurden 1988 alleine auf philippinische Gewerkschafter 118 politische Anschläge verübt: 15 wurden ermordet, 31 entführt, 25 gefoltert, 14 sind verschwunden, 250 sitzen in Militärgefängnissen und 319 in Polizeihaft. Ich trage diese Berichte über die Situation auf den Philippinen hier so ausführlich vor, weil es - auch in Bezug auf die Philippinen - offensichtlich eine Sache ist, kritische Berichterstattung über dieses Land zu prämieren, aber eine ganz andere, daraus die notwendigen politischen Schlußfolgerungen zu ziehen. Dazu hätten der Bundespräsident und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit beim Besuch der Präsidentin der Philippinen, Corazon Aquino, die beste Gelegenheit.
Uns JournalistInnen fordern die philippinischen Kolleginnen und Kollegen anläßlich dieses Staatsbesuchs auf, endlich das „von den Medien verbreitete Bild zurechtzurücken, daß auf den Philippinen durch Cory Aquino die Demokratie wieder hergestellt worden sei.“
Unterstützung für Aquinos Politik einstellen
An die Repräsentanten der bundesdeutschen Politik richten sie die Aufforderung: „Stellen Sie die Unterstützung einer Politik des totalen Krieges ein, wie sie von Cory Aquino mit Hilfe der Militärs und vom Militär ausgebildeter Todeskommandos geführt wird.“ Diese Politik werde - so schreiben sie - bisher nicht nur durch die Hilfsprogramme der US-Regierung gefördert, sondern auch aus der Bundesrepublik: zum Beispiel mit Geldern des BMZ. Und dafür gibt es Belege und Zeugen. (...)
Wenn das Bekenntnis zu entwicklungspolitischer Bewußtseinsbildung nicht ein reines Lippenbekenntnis bleiben soll, dann kann ich mich nur den Forderungen der philippinischen Kolleginnen und Kollegen an die Regierungsvertreter hierzulande abschließen: Fordern Sie beim Staatsbesuch der philippinischen Präsidentin Corazon Aquino in drei Wochen die Einhaltung der Menschenrechte. Fordern Sie die Entwaffnung der „Vigilantes“, der philippinischen Todesschwadrone. Fordern Sie eine Erklärung für den Verbleib der vielen Verschwundenen. (...) Verweigern Sie die Zusammenarbeit mit dieser Regierung. Denn, um es in den Worten des Exilanten Antonio Bosch zu sagen: „Solange sich auf den Philippinen nichts Grundlegendes ändert - etwa durch die Verwirklichung der immer wieder versprochenen umfassenden Landreform - fördert die Bundesregierung mit jeder Mark, die sie an die philippinische Regierung zahlt, entweder den weiteren Ausbau des Militärapparates oder die Privilegien der ohnehin Privilegierten.“ (...)
Paalam! Auf Wiedersehen! Die Rede ist stark gekürzt.
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