Peinliches Plagiat einer Propaganda-Broschüre

Ausgerechnet aus einem Buch der langjährigen Pro-Familia-Vorsitzenden Melitta Walter bediente sich eine Anti-Abtreibungsbroschüre der Stuttgarter Landesregierung / Interviews benutzt, glückliches Ende angedichtet  ■  Von Helga Lukoschat

Peinlich für die baden-württembergische Landesregierung und ihre Sozialministerin Barbara Schäfer (CDU): Da wurde auf Betreiben der LebenschützerInnen in der Schwaben-Union eine sechs Millionen Mark teure Anti-Abtreibungskampagne gestartet, und nun hat die beauftragte Werbeagentur Scherer aus München bös geschlampert. In der Broschüre Ungewollt Vater, Anfang des Jahres mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren unters Volk gebracht, finden sich reihenweise Zitate und sinngemäße Übernahmen ausgerechnet aus dem Buch der langjährigen Pro-Familia-Vorsitzenden Melitta Walter und ihres Partners Wolfgang Friedrich Schwangerer Mann - was nun?. Während aber Walter/Friedrich in ihren 1985 veröffentlichten Interviews mit betroffenen Männern differenzierte Sichtweisen über das Problem ungewollter Schwangerschaft und der Entscheidung für oder gegen ein Kind darbieten, kennt die Regierungsbroschüre mit ihren kurzen Fallbeispielen nur eine Sicht der Dinge: Abtreibung tötet menschliches Leben, belastet Frauen wie Männer ein Leben lang und zerstört außerdem noch Partnerschaften.

Nicht nur die Tatsache, daß jeder Hinweis auf diese Quelle fehlt, ließ Walter/Friedrich zuerst in die Öffentlichkeit und jetzt vor Gericht gehen. Besonders erbost sind sie, daß „Bausteine“ aus ihrem Buch in sinnverfremdender Weise verwendet wurden. „Aus unseren Interviewpartnern wurden glückliche Väter gemacht, die sie nicht waren“, ärgert sich Melitta Walter über das unseriöse Vorgehen der Münchner Agentur. Die Agentur-Texterin übernahm persönliche Daten wie Alter, Beruf, Lebenslauf oft nur mit leichten Veränderungen. So geschehen mit Michael. Der 26jährige Student der Geschichte und Politik wird in der Regierungsbroschüre zwar um ein paar Jahre jünger gemacht, aber viele andere Details seiner Geschichte sind nahezu wortwörtlich aus dem Buch von Melitta Walter abgeschrieben. Auch die Geschichte des Wolfgang T. ähnelt sich bis ins Detail. Neu sind allerdings Schlußsätze, die aufs schönste das vom Sozialministerium gewünschte Weltbild bestätigen: „Es ist für mich schon eine tolle Erfahrung, noch einmal mit einem so kleinen Wurm umgehen zu dürfen“, wird Wolfgang T. in den Mund gelegt.

Auch praktische Ratschläge, die Walter/Friedrich gaben, sind schlichtweg abgekupfert.

Das Sozialministerium gab inzwischen kleinlaut die Übernahmen zu und stellte die Verteilung der Broschüre Ende Juni ein. Jetzt soll eine Neuauflage gestartet werden. Aber dies lediglich aus Gründen der „Fairneß“, so ein Sprecher des Ministeriums. Denn eine Verletzung des Urheberrechts kann die Landesregierung nicht erkennen. Bei den Zitaten und Übernahmen handelt es sich ihrer Auffassung nach nämlich nicht um „geschützte Werkteile“. Diese müßten sich durch künstlerische Originalität und Eigenständigkeit auszeichnen, während die zitierten Sätze inzwischen zu „Allgemeinplätzen“ in der Paragraph-218-Diskussion geworden seien.

Das sehen Melitta Walter und Wolfgang Friedrich ganz anders. Sie klagen jetzt beim Verwaltungsgericht Mannheim auf Unterlassung und Schadenersatz. Da die Münchner Agentur den Namen der Texterin bislang nicht preisgeben wollte, wird es vor Gericht auch um diesen Punkt gehen. In der Öffentlichkeit hatte Chefin Monika Scherer, 38, sich noch damit gerühmt, die Kampagne nicht zu weltfremd und penetrant gestalten zu wollen. Doch das war mit den politischen Absichten der CDU-AbtreibungsgegnerInnen schwer zu vereinbaren. Auf dem Landesparteitag der CDU war 1987 die Kampagne von den LebensschützerInnen als Aufgleich dafür durchgesetzt worden, daß mit Landeschef Späth eine Verschärfung des Paragraph 218 und eine Verfassungsklage gegen die Krankenkassenfinanzierung nicht zu machen gewesen war.

Seit Anfang des Jahres gibt es nun Plakate und Anzeigenserien, Kino-Spots und „Zielgruppenansprache“ von Eltern, SchülerInnen und ÄrztInnen. Plakatiert sind seitdem Sprüche wie „Mein Selbstbewußtsein wächst mit dem Bauch“ oder „Kind oder Schule? Oma hat mir die Wahl erspart“. In der Broschüre, die sich an Frauen wendet, laufen die Geschichten nach dem Muster ab: Junge tapfere Frau entscheidet sich für ihr Kind, und prompt kommt Unterstützung. Oder sie entschied sich für Abtreibung und muß deshalb immer noch weinen.

Wer an der Authentizität derartiger Fallgeschichten von Anfang an Zweifel hatte, sieht sich durch die bekanntgewordenen Vorfällen um die Männerbroschüre bestätigt. Aber für Monika Scherer ist alles einfach nur ein „unglückliches Zusammentreffen“. Ihre Texterin habe sich größte Mühe gegeben: Interviews gemacht, Beratungsstellen aufgesucht, aber auch Hintergrundmaterial verwendet. „Wenn sie soviel Material verwerten, kann es einfach vorkommen, daß Formulierungen übernommen werden“, versucht sich Monika Scherer aus der Affäre zu ziehen. Von Absicht könne keine Rede sein. Juristisch argumentiert sie wie das Sozialministerium: keine Verletzung des Urheberrechts, da die übernommenen Texte keinen künstlerischen Eigenwert besäßen.

Den Eindruck, die Broschüren seien auf dem Reißbrett entstanden, weist die Werbefrau zurück. Bewußt seien aus dem authentischen Material Beispiele mit „bestimmten Stereotypen“ entstanden, denn möglichst viele Männer sollten sich in den erzählten Geschichten wiederfinden können. Merkwürdig nur, daß bei der Vielfalt des Lebens immer nur zwei Stereotypen wiederkehren: Entweder können Frauen und Männer ein Leben lang die Abtreibung nicht verwinden. Oder sie erkennen, wie wunderbar es war, trotz aller widrigen Umstände das Kind auf die Welt gebracht zu haben.