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Polizeiverfehlungen unter Albrecht jetzt schwarz auf weiß

Bericht über Zusammenarbeit der niedersächsischen Polizei mit Werner Mauss führt zu ersten schwachen Ankündigungen eventueller Konsequenzen Sonderermittler erhebt schwere Vorwürfe gegen die Führung der Polizeiabteilung im niedersächsischen Innenministerium / Gewußt haben es alle  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Keine Woche lag der 463 Seiten starke Bericht der Sonderermittlungsgruppe im niedersächsischen Innenministerium auf dem Tisch, da kündigte am vergangenen Mittwoch der Chef des Hauses selbst vor der Presse Konsequenzen an: Disziplinarrechtliche Vorermittlungen würden nun eingeleitet gegen alle Beamten, die mit Namen genannt seien in dem dicken Bericht mit dem umständlichen Titel Straf- und/oder disziplinarrechtlich prüfenswerte Erkenntnisse im Zusammenhang mit Verfahren, an denen Herr Werner Mauss beteiligt gewesen ist. Doch schon die genaue Zahl der Vorermittlungen vermochte Innenminister Josef Stock nicht mehr zu nennen: Es könnten 16 oder auch 19 Polizeibeamte betroffen sein. „Fairneß“ müsse man „walten lassen“. Deswegen dürften alle betroffenen Polizisten ihre Funktionen bis zum Abschluß der Vorermittlungen weiter ausüben.

Auch der Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Hans-Peter Mahn, der dem Bericht zufolge letztlich eine frühere Aufklärung der Verfehlungen und Straftaten verhindert hat, genießt erst einmal „weiterhin das persönliche Vertrauen“ des Ministers. Der disziplinarrechtlich wohl schlecht beratene, gelernte Einzelhandelskaufmann Stock verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß eine Beurlaubung oder Versetzung der Polizeibeamten vor Abschluß der Vorermittlungen gar nicht erlaubt sei.

Bericht holt

Altlasten wieder hoch

Auch wenn Innenminister Stock mit Hinweis auf die „Unschuldsvermutung“ sofortige Konsequenzen ablehnte, neu oder bisher unbekannt sind die Straftaten und Verstöße gegen das Disziplinarrecht größtenteils nicht, die der Bericht der zwölf Sonderermittler unter Leitung von Oberstaatsawalt Hans -Dieter Jeserich auflistet. Es geht in dem opulenten „Vermerk“ größtenteils um bekannte Altlasten der niedersächsischen Polizei, um Ermittlungen aus den Jahren 1981 bis 1983, als das Landeskriminalamt in der Sonderkommission zum organisierten Verbrechen „Zitrone“ und in der gegen den hannoverschen Juwelier Rene Düe eingesetzten SoKo mit Werner Mauss zusammenarbeitete.

Mit den illegalen Ermitllungsmethoden im Fall Düe hatte sich bereits vor 1986 der 10.Parlamentarische Untersuchungsausschuß beschäftigt. Bis ins Frühjahr dieses Jahres hinein war - zuletzt in dem Wiederholungsverfahren vor dem Landgericht Braunschweig, in dem der Juwelier endlich freigesprochen wurde - akribisch nachgezeichnet worden, wie die Sonderkommission unter der Führung von Mauss illegal abgehört, Beweismittel gefälscht oder Ermittlungsakten manipuliert und auch unterdrückt hatte. Auch daß Werner Mauss mit ihm zur Verfügung stehenden Versicherungsgeldern „Dienstreisen und Diensthandlungen“ von LKA-Beamten finanzierte, wie es der Bericht für die Sonderkommission „Zitrone“ auflistet, ist seit Jahren kein Geheimnis, ohne daß das bisher wirklich zu disziplinarrechtlichen Konsequenzen geführt hätte.

Dennoch haben Oberstaatsanwalt Jeserich und seine Gruppe nach über 20 Monaten „interner Verwaltungsermittlungen“ die schier endlosen niedersächsischen Polizeiskandale um ein wichtiges Kapitel vervollständigt: Sie zeichnen in zwei gesonderten Abschnitten nach, wie beteiligte Polizeibeamte durch Falschaussagen vor dem 10.Parlamentarischen Untersuchungsausschuß die illegalen Ermittlungsmethoden im Fall Düe gedeckt haben und wie gleichzeitig die Spitze des Landeskriminalamts und vor allem die Polizeiführung im Innenministerium die gebotenen straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen verschleppten, behinderten und vereitelten.

Nach Gespräch „mit oben“ doch kein Strafantrag

Schon bevor im Mai 1984 der erste Mauss -Untersuchungsausschuß vom Landtag in Hannover eingesetzt worden war, so erfährt man aus dem Jeserich-Bericht, hatte sich im Landeskriminalamt eine Sonderkommission unter anderem mit der Bezahlung von Dienstreisen durch Werner Mauss befaßt. Im April 1984 führt der Abschlußbericht dieser SoKo 83 einen wahrscheinlichen Fall von Verwahrungsbruch auf, weil Werner Mauss drei aufgekaufte gestohlene Schmuckstücke im Wert von 10.000 Mark „weiter eingesetzt“ und nicht der Eigentümerin zurückgegeben hatte, und den Verdacht der Untreue im Zusammenhang mit dem Verkauf von aus Einbrüchen stammenden Alcantara-Mänteln durch den V-Mann -Führer von Mauss, den LKA-Abteilungsleiter Karl-Heinz Müller, und einen weiteren LKA-Beamten.

Im Landeskriminalamt war man zunächst entschlossen, die Vorgänge wie rechtlich geboten zu weiteren Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft abzugeben. Das änderte sich schlagartig, nachdem der kurz darauf verstorbene LKA-Chef Paul Berke-Müller mit dem Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Mahn, und dem obersten Kriminalbeamten aus dem Ministerium, Johannes Peters, ein Gespräch über die Angelegenheit geführt hatte. „Aufgrund dieses Vorgesprächs“, so zitiert der Jeserich-Bericht die Akten, sollte Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erst gestellt werden, „sobald Straftatbestände der beiden Beamten beweisbar werden“. Also nicht schon, wie es die Strafprozeßordnung verlangt, bei einem begründeten Anfangsverdacht. Gegen die beiden Beamten werden zunächst weiterhin nur disziplinarische Vorermittlungen geführt.

Dieser rechtswidrige Eingriff des Ministerialrats Dr. Mahn in die ersten Ermittlungen zur Zusammenarbeit Mauss/Polizei hatte, so macht der Jeserich-Bericht klar, weitreichende Folgen: Rechtlich komme hier nicht nur Strafvereitelung im Amt in Betracht, heißt es in dem 463-Seiten-Vermerk, die angewandte Verfahrensweise erwecke auch den Eindruck, „Vorgänge aus dem Bereich der Polizei“ sollten zunächst „unter Ausklammerung der zuständigen Staatsanwaltschaft einer Erledigung zugeführt“ werden. Für Oberstaatsanwalt Jeserich ergibt sich aus diesem ersten Eingriff von Mahn insgesamt eine „Fehlsteuerung“. Sie habe unter anderem bewirkt, daß wegen der illegalen Abhörmaßnahmen im Fall Düe gegen Werner Mauss erst „nach Eintritt der Verjährung“ ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei.

Daß Werner Mauss und die Beamten der Sonderkommission „Düe“ bei ihren Ermittlungen den Juwelier eigentlich fortlaufend abgehört haben, war der Behördenleitung des Landeskriminalamts durch den Tätigkeitsbericht von Werner Mauss zum Fall Düe spätestens seit August 1982 bekannt. Die Polizeiabteilung des Innenministerium war über die Lauschangriffe durch den gleichen Bericht spätestens im Herbst 1984 informiert. Schon aus diesem Bericht wird nach Einschätzung der Jeserich-Gruppe klar, daß die Gespräche von Rene Düe „zu Beweiszwecken“ mitgeschnitten wurden, weil man ein Geständnis des Juweliers erwartete. Die Abhöranlagen habe man keineswegs installiert, weil Werner Mauss an Leib und Leben gefährdet gewesen sei. Dies allerdings hatte das Inneministerium bis zuletzt dem 10.Parlamentarischen Untersuchungsausschuß weiszumachen versucht.

Wer war wann

wieweit informiert?

Die Ermttlungsgruppe Jeserich hat detailliert aufgelistet, wann Berichte, Vermerke und Kopien von Fernschreiben zum Komplex Lauschangriffe im Innenministerium eingegangen sind. Die Gruppe hat aufgrund der Paraphierungen auf den Berichten rekonstruiert, wann welcher Führungsbeamte über die illegalen Ermittlungsmethoden informiert gewesen sein muß. Im Verdacht der Strafvereitelung im Amt stehen nun zumindest der Abteilungsleiter Mahn, Landeskriminaldirektor Peters, zwei weitere Beamte aus der Polizeiabteilung und auch gleich zwei Leiter des Landeskriminalamtes.

An die Staatsanwaltschaft Hannover wurde das Verfahren wegen der Lauschangriffe mit drei Jahren Verspätung abgegeben. Das LKA fertigte zunächst einen Entwurf für das entsprechende Schreiben, der „zur redaktionellen Überarbeitung“ an das Innenministerium übergeben wurde, die „dort durch Dr. Mahn erfolgt sein“ soll, wie es im Jeserich -Bericht heißt. Bei Erstattung der Strafanzeige wurden dann der Staatsanwaltschaft die wichtigsten Beweismittel, zum Beispiel der Mauss-Bericht, vorenthalten. Auch darüber, daß der einstige Landeskriminaldirektor Reisacher die Lauschangriffe im Ausland vorab explizit untersagt hatte, informierte man dem Bericht zufolge die Staatsanwaltschaft nicht. So konnte denn der hannoversche Oberstaatsanwalt Borchers im Jahre 1987 die Ermittlungen gegen zwölf Polizisten wegen der Lauschangriffe zunächst bequem mit der Begründung einstellen, die Beamten seien sich keines Unrechts bewußt gewesen, hätten einem Verbotsirrtum unterlegen.

Dem 10.Parlamentarischen Untersuchungsausschuß hat das Innenministerium damals den Mauss-Bericht und Ergebnisse interner Ermittlungen vorenthalten, obwohl der Ausschuß diese Ergebnisse ausdrücklich angefordert hatte. Der Jeserich-Bericht weist eine ganze Reihe von Falschaussagen von Polizisten und von Polizeiführern aus dem Ministerium vor dem Ausschuß nach. Diese Falschaussagen waren natürlich nur möglich, weil der Leiter der Polizeiabteilung die illegalen Ermittlungspraktiken jahrelang gedeckt hat.

Von einem „Saustall“ im niedersächsischen Innenministerium hat dereinst dessen ehemaliger Chef Wilfried Hasselmann gesprochen. Doch trotz der Vorermittlungen, die bei den vier höchsten Beamten ein Abteilungsleiter aus dem Justizministerium führen wird, mag man an eine Reinigung im Hause Stock nicht glauben. Für den Innenminister Stock waren von vorherein „99,9 Prozent der niedersächsischen Polizisten gesetzestreu“. In dem Bericht der Jeserich-Gruppe finden sich etliche Hinweise darauf, daß Dr. Mahn in den Jahren 1984 bis 1986 zumindest in Übereinstimmung mit seinem Staatsekretär, wenn nicht in Übereinstimmung mit dem damaligen Innenminister Egbert Möcklinghoff gehandelt hat. Einen Weg, seinen Abteilungsleiter jetzt immer noch zu schonen, könnte Josef Stock wiederum in der Verjährung finden: Bei einfachen disziplinarrechtlichen Verstößen beträgt die Verjährungsfrist nur zwei Jahre.

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