Die „Birmingham Six“ schöpfen neue Hoffnung

Neue Erkenntnisse lassen das 1975 ausgesprochene „Lebenslänglich“ für sechs Iren wegen zweier Bombenanschläge erneut zweifelhaft erscheinen / Polizisten, die sie verhört hatten, haben in anderen Fällen Geständnisse erpresst, gab das britische Innenministerium jetzt zu  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die „Birmingham Six“, die seit 14 Jahren in britischen Gefängnissen sitzen, haben Ende letzter Woche neue Hoffnung auf vorzeitige Freilassung geschöpft. Das Innenministerium mußte auf Anfrage des Labour-Abgeordneten Chris Mullin zugeben, daß drei Polizisten, die an den Verhören der „Birmingham Six“ beteiligt waren, in zwei späteren Fällen die Erpressung von Geständnissen nachgewiesen wurde.

Die „Birmingham Six“, sechs irische Emigranten, sind 1975 zu 21 Mal lebenslänglicher Haft verurteilt worden, weil sie angeblich zwei Kneipen in Birmingham in die Luft gesprengt haben. Bei dem Attentat starben 21 Menschen, 136 wurden verletzt. Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) bekannte sich später zu den Anschlägen, die eine anti-irische Pogromstimmung in Großbritannien auslösten. Das Urteil gegen die sechs Iren stützte sich auf zwei Punkte: Die Geständnisse der Angeklagten sowie die Aussage des Wissenschaftlers Frank Skuse, der mit Hilfe des von ihm entwickelten „Greiss-Tests“ Sprengstoff-Spuren an den Händen der Angeklagten festgestellt hatte. Doch schon 1987 hatte Chris Mullin nachgewiesen, daß dieser Test völlig unzuverlässig ist, da die „Sprengstoff-Spuren“ genausogut von Spielkarten, Lack und einer Reihe anderer Stoffe stammen können. Mullin erschütterte das Urteil noch weiter. Er hatte die wirklichen Bombenleger in der Republik Irland aufgespürt und von ihnen Einzelheiten erfahren, die nur den Tätern bekannt sein konnten. Dennoch wurde eine Wiederaufnahme des Verfahrens im letzten Jahr abgelehnt.

Die sechs Iren hatten stets beteuert, daß die Geständnisse aus ihnen herausgeprügelt worden waren. Ihre Privatklage gegen die Polizeibeamten wurde jedoch gar nicht erst zur Verhandlung zugelassen. Die Begründung des Richters: Falls die Angeklagten gewinnen würden, hieße das, daß die Polizei des Meineids und der Gewalt schuldig wäre. Das sei eine so abscheuliche Aussicht, daß kein vernünftiger Mensch diese Klage zulassen könnte. Die Enthüllung des britischen Innenministeriums, daß drei der betreffenden Beamten der West-Midlands-Polizei in zwei anderen Fällen gewaltsam Geständnisse erzwungen haben und die Angeklagten deshalb freigesprochen und entschädigt werden mußten, ist nicht nur für die „Birmingham Six“ relevant. Mehrere Rechtsanwälte, deren Mandanten behauptet hatten, in Polizeigewahrsam verprügelt worden zu sein, forderten vom Innenministerium die Namen der Polizisten, um möglicherweise Wiederaufnahmeverfahren anzustrengen. Ein Rechtsanwaltsbüro stellte 30.000 Mark für eine unabhängige Untersuchung zur Verfügung.

Der Chef der West-Midlands-Polizei, Geoffrey Dear, hat inzwischen die Auflösung der betreffenden Einheit angeordnet, da gegen sie überdurchschnittlich viele Beschwerden vorliegen. Die Beamten sollen auf andere Einheiten verteilt werden. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich die Hoffnungen für die „Birmingham Six“ auf späte Gerechtigkeit erfüllen werden. Schließlich hat sich die britische Gerichtsbarkeit mit der Aura der Unfehlbarkeit umgeben und Justizirrtümer noch nie eingestanden. Darüberhinaus wären die Sondergesetze zur Terrorismusbekämpfung diskreditiert, die nach den Anschlägen von Birmingham verabschiedet wurden und noch immer gültig sind.