„Wer entscheidet, was gesund oder behindert ist?“

Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen in SLH lehnt eine pränatale Erbanlagenuntersuchung ab / Interview mit der ASF-Vorsizenden  ■ I N T E R V I E W

taz: Frau Nielsky, Warum lehnt ihr Landesverband die pränatale Genom-Analyse ab?

Monika Nielsky: Wir wollen prinzipiell nicht, daß in die Gene reingeschaut wird. Es bleibt ja nicht beim Reingucken und Analysieren. Wir befürchten, daß man dann auch versucht, Gene zu verändern. Der heikelste Punkt dabei ist die Genom -Analyse vor der Geburt. Bei allen anderen Genom -Untersuchungen, wie zum Beispiel das screening bei Arbeitnehmern, sind wir uns über eine Ablehnung mit weiten Teilen in der Gesellschaft einig. Wir haben außerdem große Schwierigkeiten damit, daß überhaupt eine Auslese getroffen wird, daß entschieden wird, dies ist ein Kind, das auf die Welt kommen soll, jenes nicht. Bei uns wird das heute nur für bestimmte schwere Krankheiten abgeprüft. Wir fürchten aber, daß sich unter anderen Machtverhältnissen das Spektrum ausweiten wird, auf andere Krankheiten oder Abweichungen. Wir denken dabei natürlich auch an die Vergangenheit.

Immer mehr schwangere Frauen machen von diesen Untersuchungen Gebrauch, weil sie Angst vor einem behinderten Kind haben. Sollte diese Angst nicht ernstgenommen werden?

Wir haben uns intensiv mit der Angst von Frauen auseinandergesetzt und dann eine Abwägung getroffen: Von allen Behinderungen, die nach einer Geburt auftreten, sind weniger als 5% heute durch eine Genom-Analyse festzustellen. Die anderen Behinderungen entstehen zum Beispiel durch den Geburtsvorgang. Wir sollten unser Wissen und unsere Forschungskraft lieber in Bereiche stecken, wo mehr Erfolg zu erwarten ist. Diese Techniken werden doch nur vordergründig zum Nutzen der Frauen eingesetzt. Eigentlich sind sie für ganz andere Bereiche gedacht, für den Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenbereich, wo festgestellt wird, wer für bestimmte Umwelt- und Arbeitsplatzbelastungen besonders resistent ist. Letztendlich wird die Umwelt nicht mehr für den Menschen geschaffen, sondern umgekehrt.

Sehen sie ein solches Verbot nicht als Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Einzelnen?

Wir meinen, daß es letztlich gar nicht mehr um die Entscheidungsfreiheit der Frau geht, sondern gesellschaftlicher Druck auf sie gemacht wird, unbedingt gesunde Kinder auf die Welt zu bringen. Die Ängste werden geschürt, damit Frauen diese Technik in Anspruch nehmen. Wer aber entscheidet eigentlich, was gesund und was behindert ist? Wo wird die Grenze gezogen zwischen lebenswert und lebensunwert?

Sie zielen auf einen Bewußtseinswandel bei den BenutzerInnen dieser Technik. Glauben Sie nicht, daß ein generelles Verbot dazu führt, daß Frauen weiterhin heimlich zu Privatärzten gehen und sich illegal und unter größeren Risiken untersuchen lassen. Ich denke dabei auch an das Abtreibungsverbot und seine Folgen: Die Kriminalisierung.

Es ist klar, daß ein solches Verbot nicht ad hoc durchgesetzt wird. Ziel ist es, gesamtgesellschaftlich darüber nachzudenken, welchen Weg wir in Zukunft einschlagen wollen. Diskutiert werden müssen Begleitmaßnahmen, Beratung, eine behindertenfreundlichere Umwelt, finanzielle und personelle Entlastungen, die Frauen in die Lage versetzen, auch ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen. Eine Welt ohne Leid oder Behinderung gibt es nicht.

Interview: Ulrike Helwerth