Erfolg für die Gen-Tech-Industrie

Am 1. Januar 1991 soll ein neues Gentechnikgesetz in Kraft treten / Das Bundeskabinett beschloß gestern einen Entwurf, der eine Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit weitgehend einschränkt / Niederlage für Umweltminister Töpfer / Kritik der SPD und der Grünen  ■  Von Ulrike Helwerth

Berlin (taz) - Das Bundeskabinett hat gestern den Entwurf für ein neues Gentechnikgesetz beschlossen, das am 1.1.1991 in Kraft treten soll. Damit sollen Arbeiten mit gentechnischen Methoden in Labor und Produktion, die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt und das „Inverkehrbringen“ von Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen sind oder solche enthalten, geregelt werden. Die Anwendung gentechnischer Methoden am Menschen bleibt in diesem Entwurf ausgeklammert.

Das 60seitige Paragraphenwerk ist in wichtigen Punkten eine Niederlage für Bundesumweltminister Töpfer. Er konnte sich mit seiner Forderung nach mehr Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Genehmigung von gentechnischen Anlagen nicht durchsetzen. Auch soll das Bundesumweltamt nicht grundsätzlich - wie von Töpfer gewünscht - in die Genehmigungsverfahren einbezogen werden. Der chemischen Industrie und den gentechnischen Forschungseinrichtungen kommt der Gesetzesentwurf entgegen. „Verfahrensverzögerungen“ wegen lästiger BürgerInnen -Einmischung bleibt ihnen damit weitgehend erspart.

Der Gesetzesentwurf unterscheidet zwischen gentechnischen Versuchen im freien Feld und Experimenten in „geschlossenen Systemen“. Freilandversuche sind generell genehmigungspflichtig. Über Freisetzungen und gentechnische Forschungsarbeiten sollen die Bundesbehörden befinden. Zuständige Behörde für Genehmigung oder Ablehnung von Forschungsvorhaben ist das traditionell industriefreundliche Bundesgesundheitsamt. Über Freisetzungen kann es allerdings nur im Einvernehmen mit dem Bundesumweltamt und der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft entscheiden. Hier scheint Töpfer ein kleiner Kompromiß -Erfolg gelungen zu sein.

Eine öffentliche Anhörung ist bei Freilandversuchen nur dort vorgesehen, wo die Ausbreitung der gentechnisch veränderten Organismen „nicht begrenzbar ist“ - eine Definitionsfrage. KritikerInnen der Gentechnik fordern grundsätzlich für alle Freilandversuche Öffentlichkeitsbeteiligung.

Bei gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken ist überhaupt keine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. Über gentechnische Arbeiten zu gewerblichen Zwecken entscheiden die Landesbehörden. Sie sollen zuvor Stellungnahmen des Bundesgesundheitsamts und der „Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit“ (ZKBS) einholen. Die ZKBS soll grundsätzlich an allen Entscheidungen zur Gentechnik beteiligt werden. In der Kommission sitzen jedoch mehrheitlich Vertreter aus Genforschung und Industrie.

Noch weniger Öffentlichkeit ist vorgesehen für Experimente in „geschlossenen Systemen“, also in Labors, gewerblichen Produktionsstätten der Pharmaindustrie, Gewächshäusern oder Tierställen. Für diese Forschungs- und Produktionsarbeiten gibt es ein in vier Sicherheitsstufen eingeteiltes Verfahren. Es reicht von der bloßen Anmeldepflicht bis zur Genehmigungspflicht durch das Bundesgesundheitsamt, verbunden mit einem öffentlichen Anhörungsverfahren. Letzteres gilt jedoch nur für Produktionsstätten der Sicherheitsstufe 3 und 4. Darüberhinaus ist die Öffentlichkeit auch dann zu beteiligen, wenn in einer Anlage „erstmals“ Arbeiten zur Sicherheitsstufe 2 aufgenommen werden. Bei Industrieanlagen der Sicherheitsstufe 1 bleibt die Öffentlichkeit völlig außen vor. Über 90 % der gentechnischen Versuche finden bisher in den Sicherheitsstufen 1 und 2 statt.

Trotz „aller Regelung zur präventiven Kontrolle“ und der „gebotenen Sorgfalt von Wissenschaft und Technik“ seien Schäden durch genetische Arbeiten oder durch freigesetzte genetisch veränderte Organismen nicht vollständig aus Fortsetzung auf Seite 2

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zuschließen, heißt es in einer Mitteilung des Bundesgesundheitsamtes, das bei diesem Entwurf federführend war. Daher ist eine „Gefährdungshaftung“ vorgesehen, eine Art Haftpflichtversicherung für Gentechnik-Betreiber. Dazu heißt es: „Wird infolge von Eigenschaften eines Organismus, die auf gentechnischen Arbeiten beruhen, jemand getötet oder an Körper und Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Betreiber verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“ Dies gilt nicht, „wenn der Schaden durch höhere Gewalt verursacht wird“. Strenger als in früheren Entwürfen wird die Informationspflicht der Unternehmen umrissen. Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren drohen für Verstöße gegen die Vorschriften.

Zweck des Gesetzes sei, „Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen und Sachgüter sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wir

kungsgefüge vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen“, erklärte Bundesgesundheitsministerin Lehr. Doch der jetzige Entwurf bestätigt eher frühere Befürchtungen: Hier soll nicht die Bevölkerung vor der Gentechnik geschützt werden, sondern die Gentechnik vor der Bevölkerung.

Der Vorsitzende des Forschungsausschusses Catenhusen (SPD) kritisierte ebenso wie die Grünen die unzureichende Beteiligung der Öffentlichkeit.