„SEHR BUNT, SEHR FREUNDLICH“

■ Die Akademie der Künste feiert 200jährige bürgerliche Herrschaft

Die bürgerliche Gesellschaft verhimmelt sich, ihre Dichter und Denker pflegen liturgische Selbstbeweihräucherung, und die Akademie der Künste zelebriert Gottesdienste „Im Jahre 200 nach der Französischen Revolution“, was textkritisch übersetzt hieße: „200 Jahre bürgerliche Despotie“ und zudem Anlaß bietet, den Austritt aus der Geschichte ebenso letztgültig zu verkünden wie den Verzicht auf alle Vernunft.

Die Preisfrage zur Preisfrage an jauchzende Unvernunft, gestellt an „Schriftsteller, Publizisten, Politiker und Wissenschaftler“ aus sechs Ländern, „inwieweit die Ideen der Französischen Revolution heute noch politisches Denken und Handeln in Ost und West bestimmen“, erbrachte üppige Kollekte. Hofprediger Walter Jens: Diese Ideen seien „aktueller denn je in Zeiten von Glasnost und Perestroika. West und Ost gewöhnen sich an Freiheit - Gleichheit Brüderlichkeit.“ Der sowjetische Schriftsteller Andrej Bitow, Herold neuer Unterwürfigkeit, repetierte in wildem Lerneifer die „Lehre der Französischen Revolution: Menschenrechte, das Recht auf Eigentum und Unantastbarkeit dieses Eigentums“. Peter Glotz, intellektueller Simplizist, nahm „eine Spannung“ wahr „zwischen Freiheit - Gleichheit Brüderlichkeit und Freiheit - Gleichheit - Besitz“ und bot zur Erörterung die Frage an: „Sind Menschenrechte auch Frauenrechte?“ Peter Härtling, Täter und Opfer seiner intellektuellen Verelendung in einem, fragte: „Wie sieht Freiheit - Gleichheit - Geschwisterlichkeit aus in einem Gefälle von Armut und Reichtum?“ Melvin J. Lasky, Engländer, entdeckte „das Prinzip Hoffnung“, und der Historiker von Thadden, Adliger, stellte fest, den Reformismus der SPD könne man ohne den Revolutionsgedanken nicht denken. Glotz: „Ich stimme Ihnen ohne weiteres zu.“

Solch Begriffsbrei, in dem Revolution zum Reformismus, die Umwälzung der klassen-antagonistischen Gesellschaft zum Aufklärungsunterricht in der Gesamtschule gerät, stampfte auch Adam Krzeminski, Warschauer Kulturredakteur: „Das geht aufs gleiche raus: Revolution oder Evolution“, welche Gelegenheit Jens nutzte, Heinrich Mann und Theodor Wolff gleich als „Linke“ auszugeben.

Der Tauschwert als allseitiger Vermittler in der bürgerlichen Gesellschaft bemächtigt sich der Begriffe, entleert sie also, macht sie austauschbar und ebenso gleich wie gleichgültig. Was krumm ist, kann gerade werden, was niedrig, erhöht, was verlogen, wahrhaftig, und was bleibt, ist der Sturz in totalitäre Gefühligkeit, in mühsam geläuterten Nationalismus. Die Französin Brigitte Sauzay: „Nation klingt in Deutschland kriegerisch. Aber es hat nichts Kriegerisches an sich. Nation ist Identifikationsobjekt, Verwirklichung von Freiheit Gleichheit - Brüderlichkeit.“ Und Jens, ganz Weltenmann, erinnert die „Vielfalt in den Nationen“: „sehr bunt, sehr freundlich!“

Die widersinnige Bindung der französischen Revolutionsideale an die verklärte bürgerliche Gesellschaft und, weil dies allein nicht Illusion genug gebar, an die Nation und deren vorgebliche Naturgegebenheit war niemals weder bunt noch freundlich, vielmehr schließlich braun und barbarisch, als die deutschen Faschisten das Gleichheitsideal in eigene Regie nahmen.

Weil sich aber die Herrschaft des universalen Tauschprinzips in ein neues, nämlich parlamentarisch -demokratisches Gewand gekleidet, damit aber lediglich sein barbarisches Wesen neu verschleiert hat, darum kann Walter Jens nicht nur den Nationen als organisierten Handlangern der Gewaltverhältnisse huldigen, sondern schlichtweg der Gewalt selbst, indem er das gerade Gegenteil behauptet: „Revolution kann nur auf dem Weg der Gewaltlosigkeit erfolgen.“ Das meint die Konservierung bestehender Gewaltverhältnisse in Ewigkeit, und genau das ist dezidiertes Interesse der Auf- und Abgeklärten, wie es M.J. Lasky offenherzig ausplauderte: „Wenn ich das Wort Revolution höre, frage ich: Wer kommt in die Gefängnisse? Und welcher Idiot kommt als Wirtschaftsminister, um Armut zu planen fürs gesamte Volk?“ So aber bleibt die Butter auf dem Brot derjenigen, die die Kanonen aufrichten und in ihrer unsäglich bornierten Angst, in welcher ihr dröger Geist gefangen ist, auf alles schießen, was nicht dem Maß der Nützlichkeit entspricht, was nicht in einem „Sozialkontrakt“ sich fangen läßt, wie Peter Härtling ihn - immer auf die Höhe des Mittelalters - forderte.

Insofern konnte Carlos Rincon, Kulturpolitiker aus Nicaragua, froh sein, daß er mit seiner tiefsinnigen Frage, was denn eigentlich passiere, wenn man Gleichheit auch nur als „Umverteilung“ übersetze, lediglich übergangen (der geisttötende Moderator: „Ja, das ist aus der Sicht anderer Gesellschaften...“), nicht aber, wie in bürgerlicher Historie üblich, zwangsemanzipiert wurde - eine Methode, welche er sehr wohl kannte: „Freiheit - Gleichheit Bürderlichkeitoder Tod: Das waren die Ideale von 1789.“

Die heilige Gemeinde in der Akademie der Künste also beging die Siegesfeier des zur Unsterblichkeit gelangten Bürgertums in bestem Wissen um bewährte Tradition als Himmelfahrt: Die wahren Ideen der Französischen Revolution wurden wie gehabt auf die falschen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft heruntergebracht und dort, obwohl dem systematisierten Unrecht ausgeliefert, als geschichtsmächtige Kraft vergöttert, so daß sich die idiotisch-irdischen Verhältnisse als herrlich-himmlische ausnehmen. Diese Verklärung in Ewigkeit ist aber nichts anderes als ein phantastischer Wunderglaube mit christologischer Prägung. Walter Jens: „Ich liebe sie, die Französische Revolution!“, welche er als „quicklebendig“ glaubt. Ihn wird sie, wenn sie in ihrer notwendig-kommunistischen Gestalt tatsächlich „quicklebendig“ sein wird, nicht lieben.

Henning Daubert