Swinging Metropolis

■ 35. Hot & Hiebe

Wer anderes glaubt, des Präsumtion sei korrigiert: Das meiste aus der internationalen Schallplattenproduktion war bis 1939 zu kriegen hierzustadte, vornehmlich im Musikhaus Alberti an Kürfürstens Damm, einem tanz- & vor allem jazzmusikalisch äußerst engagierten Laden. Genauso übrigens sahs mit Amifilmen aus. Was nicht zu sehen war, war nicht zu sehen because of fehlender contracts. Brüchigkeiten des kulturell unsicheren Regimes allenthalben. So berichteten glaubwürdige Zeitzeugen, deren größte Leidenschaft jenem unterhaltenden Gut galt & gilt & gelten wird, das dem polkabesoffenen Nazi, bis zum Blut in den arischen Boden vernarrt, ein Graus gewesen. Informant an vorderster Front ist & bleibt der nicht nur von mir kreuz & quer zitierte HorstH. Lange, an dem keiner vorbeikommt auf seinem einsam swingenden Weg nach hinten.

Er auch ist es, der über seinen - 1987 verstorbenen Freund, Herrn Kapellmeister Max Rumpf, zu berichten weiß. Was sich trefflich fügt, und zwar als weiteres Streiflicht in Sachen DelphiPalast. So ganz eigentlich ist Rumpf kein Kapellmeister, nein in Rivalität zu Teddy Stauffer darf man ihn eher Bandleader heißen. Für den Melody Maker jedenfalls liegt sein Orchester 1937 an der Spitze, noch vor den Teddies von Teddy. In jenem Jahr präsentiert er unter dem Namen Max Romme und seine Original Rommees auch das erste Mal im Delphi sein ziemlich amerikanisches Repertoire. So konsequent heiß, daß sich selbst jener über ausbleibenden Geifer wundert, der um die haarsträubende, ja bereits von den Schwingen der Verblödung gestreifte Ahnungslosigkeit der offiziellen „Musikkenner“ bzw. -schnüffler weiß. Einen Artikel erbricht der Stürmer ihm „zu Ehren“ - mehr nicht. Beim dritten DelphiGastspiel des Drummers aber geschieht doch noch Unschönes. Zur fetzigen Musike bietet er mittlerweile auch eine „Floorshow“ mit Tänzerin & dänischem Sänger. Der Chronist berichtet, daß „SA-Männer Fin Olsen und Viola Rose brüsk von der Tanzfläche holten“, da ihnen der sogenannte 'Excentric-Tanz‘ der beiden bereits als sehr dekadent angesehenen Künstler nicht zusagte und als 'undeutsch‘ galt - obendrein hatte Olsen seine Homosexualität allzu offen präsentiert. Das geschah am 29. April 1939. Zumindest von Olsen ist bekannt, daß er freikommt, mit Erhard Bauschkes Band noch rasch etwas (von der RMK) ungeliebtes Musikgut aufnimmt, bevor er Stadt, Land, Fluß verlassen muß.

„Rumpf achtete auf strenge Orchesterdisziplin, und er verschaffte sich bei übermütigen Musikern mit gezielten K.O. -Schlägen die nötige Achtung.“ Die Faust sitzt locker, und Männer sind noch richtige Orchesterleiter - oder umgekehrt. Ein gleiches wird nämlich von Tommy Dorsey kolportiert. Als Benny Goodman noch in dessen Klangkörper unbekannterweise vor sich hinbläst und nicht-abgesprochene, individuelle Töne produziert, semmelt ihm fabulous Tommy ohn Zag & Zauder eine rein. Abseits dieser Dressurakte berichtete der NaziSicherheitsdienst (SD) im August '42 - die musikalische Lage ist schlechter inzwischen, wenngleich keineswegs hoffnungslos - von einigen Turbulenzen im Delphi und ums Delphi herum:

„Wie in Erfahrung gebracht wurde, ist die belgische Kapelle Fud Candrix mit den besten Vorsätzen bezüglich der Art ihrer Musik nach Berlin gekommen. Schon die zuständigen deutschen Führungsstellen in Belgien und der Manager (Betreuer ist gemeint. NT) der Kapelle haben aus dem Repertoire die englischen und amerikanischen Jazzschlager gestrichen. In den ersten 14 Tagen spielte die Kapelle im 'Delphi‘ durchaus anständige (Ach?! NT) Musik. Dann aber sei laufend zu beobachten gewesen, wie sich jugendliche Besucher um die Kapelle drängten und immer ungestümer nach amerikanischen Schlagern verlangten, die dann schließlich auch geboten wurden.

...Man mußte das beschämende Bild erleben, daß den einzelnen Mitgliedern der Kapelle, in der Hauptsache von Jugendlichen, Autogramme förmlich aus der Hand gerissen wurden. Um jeden einzelnen Musiker bildete sich in der kurzen Zeit während der Pause ein Kreis von 'jazzhungrigen Lebejünglingen‘, die sich als Autogrammjäger betätigten. Anscheinend erregte diese Haltung der Jugend bei einigen anwesenden Soldaten große Verärgerung, die ihrem Mißfallen entsprechend Ausdruck verliehen und einigen Jungen die Karten mit Autogrammen zerrissen und ihnen Ohrfeigen anboten... Bezeichnend war es, daß ausnahmslos alle Kellner des Betriebes das Vorgehen der Soldaten guthießen und sich freuten, daß es noch einige Vernünftige gäbe, die das schamlose Verhalten der Jugendlichen einer ausländischen Kapelle gegenüber ebenfalls empörend fanden.

In den Meldungen heißt es, daß an diesen Vorgängen erfreulicherweise nur ein recht zweifelhafter Teil der Großstadtbevölkerung beteiligt sei: Um so kritischer und ablehnender seien deswegen die Stellungsnahmen von Parteigenossen und von anständigen (s.o. NT) Menschen aus dem arbeitenden Volke, die Zeuge dieser Vorgänge geworden seien. Äußerungen wie 'Diese Jugendlichen gehören gleich zusammen mit ihrer Kapelle in eine Munitionsfabrik‘ oder 'Wozu brauchen wir überhaupt diese Kaffeehausmusiker, um die Tagediebe zu unterhalten‘, seien mehrfach zu hören gewesen.“

Ergänzen wollen wir aber doch, daß angelegentlich Candrixens Auftritten auch stramme HJler bisweilen Prügel beziehen.

Norbert Tefelski