Paradise lost

■ Unter dem Titel „Der Staat ist eine mündelsichere Kapitalanlage“ sind „Hetze und Aufsätze 1967-1989“ von P.P.Zahl erschienen. Dem verlorenen Paradies Grenada hat der seit 1985 in Jamaica lebende Autor seine „Nachbemerkung 1989“ gewidmet

Peter-Paul Zahl

„P.P.Zahl packt seine Sachen und reist mit der Verheißung auf das gelobte Land...“, hieß es in einem, im Berliner Magazin 'zitty‘ im Februar 1988 erschienenen „Porträt“. Das „Porträt“ verzeichnet grob. Für einen Antiautoritären gibt es, im Gegensatz zu Leninisten und Kirchenangehörigen, kein „gelobtes Land„; für ihn sind Moskau, Peking, Tirana, Rom, St.George's, Managua, Tripolis etc. kein „Neues Jerusalem“.

Ins Exil wollte, mußte ich. Das war mir klar (siehe mein Gedicht lebt wohl im 1983 bei Rotbuch, Berlin, erschienenen Band Aber nein, sagte Bakunin, und lachte laut). Im Süden sollte es liegen und englischsprachig sein. Ich ließ den Globus kreisen und pickte einige Länder heraus. Durch schieren Zufall - ein Lichtbildvortrag der Solidaritätsgruppe in West-Berlin im Winter 1982/83 - stieß ich auf Grenada, buchte den Flug nach Port of Spain, Trinidad. Wie es weiterging, kann man voranstehenden Artikeln entnehmen.

Ich wollte noch weitere verfassen, ließ dies aber: die 'tageszeitung‘ hatte drei in aufeinanderfolgenden Wochen gebracht, verschusselte die nächsten und knallte zwei Artikel drei Monate später auf ihre Reiseseite unter dem dümmlich-ironischen Motto: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“. Das ärgerte mich zunächst. Aber nicht zu sehr: ein Aufenthalt in der Karibik kann gelassene Heiterkeit oder heitere Gelassenheit hervorbringen. Im Oktober/November, war ich mir sicher, lebst du auf Grenada, machst ein Kind (oder vier Kinder), pflanzst einen Baum, baust ein Haus (aus); und der Container mit deiner „Habe“ Bücher, Platten, Kassetten, Ordner, Manuskripte, Küchengeräte und, als einziges Möbelstück, ein riesiges Wasserbett - ist dann unterwegs. Dann hättest du genug Zeit und Muße, die soziale, ökonomische, politische Lage des Ländchens genauer zu untersuchen und zu beschreiben.

Es sollte anders kommen.

Nach dem englischen (Westminster) Wahlsystem hat das Volk, sagte Maurice Bishop einmal, nur die Wahl zwischen „Mr.Tweedledee und Mr.Tweedledum“ (den völlig identisch aussehenden Zwillingen in Alice im Wunderland). Auf Grenada war Mr.Tweedledee Eric Gairy, ein von der Basis gekommener „Champion der Massen“, der 1951 die Massenstreikbewegung angeführt und seine Popularität dazu benutzt hatte, eine Partei, die GULP, zu gründen. Mr.Tweedledum hatte es schwer gegen ihn, obwohl Gairys Machthunger, seine Unfähigkeit, sein korruptes Wesen offensichtlich waren; Mr.Tweedledum vertrat die „big shots“, die Plantokratie und das Finanzkapital Grenadas. So galt Gairy als „links“, Mr.Blaize (der nun Reagans Clown ist und Regierungschef) als rechts. Das Land kam ungeheuer herunter. Die Aussichten der (bürgerlichen) Opposition, den wahnwitzig und repressiv gewordenen Aufsteiger abzuhalftern, waren gering. Doch in den sechziger Jahren wandelte sich die Sozialstruktur Grenadas ebenso wie die Ökonomie, und es entwickelte sich eine neue Opposition, eine radikale Intelligenzija, die im Ausland studiert hatte. Die neue außerparlamentarische Opposition, beeinflußt im besonderen von der Black-Power-Bewegung in den USA und in der Karibik (1970 gab es eine massive Revolte auf Trinidad), entwickelte ein Wissen um politische Ökonomie, Neokolonialismus, Rassismus und die Unterdrückung der Arbeiter und Bauern. Damit wurde sie zum direkten Herausforderer des Premierministers, der sich um das Gewinsel der bürgerlichen Opposition kaum zu kümmern hatte brauchen. Grenadas neue Apo besetzte Land, führte Massendemonstrationen an, schulte die Bevölkerung in Bezirksversammlungen unter offenem Himmel, verteidigte die Streiks der Arbeiter. Gairys Regime wurde brutaler: seine aus Gewaltverbrechern rekrutierte Sondereinheit „Mongoose Gang“ terrorisierte die Bevölkerung und die Führer und Angehörigen der Neuen Opposition.

1973 schlossen sich die Movement for Assemblies of the People (MAP) unter Bishop und Kenrick Radix und die JEWEL Joint Endeavour for Welfare, Education und Liberation, vom Ökonomen Unison Whiteman gegründet - zur New-Jewel-Movement, NJM, zusammen.

Im April desselben Jahres wurde ein junger NJM-Anhänger von Gairys Polizei erschossen. Im Mai, als Gairy und Blaize in Londen weilten, versammelte die NJM etwa 10.000 Menschen ein Viertel der wahlfähigen Bevölkerung - auf einer „Volkskonferenz über Unabhängigkeit“, am 10.November fand der von der NJM geführte und wieder von 10.000 Menschen besuchte „Volkskongreß“ statt, bei dem das Volk Gairy wegen 27 Verbrechen verurteilte. Gairy wurde zum Rücktritt aufgefordert, oder es käme zum Generalstreik.

Am 18.November 1973, dem „Blutigen Sonntag“, ließ Gairy die Führer der neuen Opposition brutalst zusammenschlagen und inhaftieren.

Für uns, an die Repression des deutschen Staatsapparates gewöhnt, mag ein solcher Vorgang - zwei Apo-Anwälte (Bishop und Radix) und ihre „Spießgesellen“ blutig geschlagen lächerlich erscheinen, in Grenada war er ein Wendepunkt. Ein herzenswarmes, gutmütiges, friedliches Völkchen (wie ich es nie wieder erlebt habe) hatte zu lernen, daß, „wo Menschen herrschen, Menschen helfen, wo Gewalt herrscht, Gewalt hilft“ (Brecht). Am 1.Januar 1974 begann ein dreimonatiger totaler Generalstreik; am 21.Januar erschoß Gairys Polizei Maurice Bishops Vater, als er versuchte, Frauen und Kinder, die sich in einer Toreinfahrt versteckt hatten, vor der Polizeigewalt auf der Straße zu schützen.

Die New Jewel Movement mußte notgedrungen ihren Charakter wechseln, von einer offenen, auf partizipatorische Politik zielende Massenpartei verwandelte sie sich in eine halb bzw. ganz klandestine Organistaion mit relativ wenigen Kadern (bis zum Einmarsch der Yankees wußte eigentlich niemand so recht auf Grenada, wer dazu gehörte). 1975 stieß Bernard Coard mit seiner OREL (Organisation zur revolutionären Erziehung und Befreiung), leninistisch orientiert, zur NJM; er war „ein brillanter Kopf und guter Organisator“ (K.Radix, 1984). In einem winzigen Drittweltländchen, in dem es wenige gut erzogene, beschlagene Köpfe gibt, ließ man ihn also in der Partei, später in der Regierung (Finanz- und Planungsminister) „brillieren“ und „organisieren“, was zum Verhängnis werden sollte. Die New-Jewel-Bewegung - eine Sammlung von Black -Power-Anhängern, Spontis, Linksliberalen, Sozialdemokraten, linken Christen, Trotzkisten, Leninisten, Revoluzzern et tutti quanti (also durchaus vergleichbar der Apo in West -Berlin und Westdeutschland zwischen 1965 und 1971) - hatte ihr Manifest veröffentlicht. Es war antiimperialistisch reformerisch („gemeinsame Anstrengung...“); und man hatte in Maurice Bishop einen immens beliebten, integren, geachteten Sprecher und Führer gefunden - innerhalb der „kollektiven Leitung“.

1976 schlossen NJM und bürgerliche Opposition gar ein Wahlbündnis und errangen einige Sitze im Parlament - trotz übelster Repression, Bedrohung, trotz des Verbots der eigenen Zeitung, trotz Mikrofon- und Versammlungsverbots, trotz Ausschluß aus den Medien 48 Prozent der Stimmen; so wurde die New JEWEL im Rahmen der „Volksallianz“ offiziell Opposition. Gairy ließ die Polizei von Pinochets Chile ausbilden, erhielt Waffen von dort und Unterricht in der Kunst des Folterns. Leute „verschwanden“, die Repression wurde härter, und als Gairy, der Mann, der aus der Gewerkschaftsbewegung gekommen war, 1978 den Arbeitern das Streikrecht in elf Sektoren durch Gesetz nahm, hatte er, wie es der Kolonialismus 1951 getan hatte, eine revolutionäre Situation geschaffen.

Im März 1979 reist der „Idi Amin der Karibik“ via Barbados in die USA, um in der UNO wieder einmal über UFOs, seine Obsession, zu reden; im Gegenflugzeug saßen von ihm angeheuerte Killer aus den Vereinigten Staaten mit dem Auftrag, sämtliche Anführer der gefährlich gewordenen Opposition umzubringen. Diese bekamen davon Wind, gingen in den Untergrund, stürmten, jämmerlich bewaffnet, die Armeekasernen, den Rundfunk; nach Maurice Bishops Aufruf an die Bevölkerung, die Straßen zu nehmen und die Polizeiposten zu umzingeln, wurde aus dem Coup der NJM die Revolution, die „Revo, the beautiful Revo“.

Und diese entwickelte sich gut. Sogar so gut, daß eine interne Studie des US-amerikanischen Außenministeriums sie für gefährlicher hielt als die von Kuba und die von Nicaragua: ist doch die Bevölkerung Grenadas schwarz und englischsprachig.

„Ocean Venture '81“ hieß das größte Seemanöver der westlichen Allianz seit dem Zweiten Weltkrieg: 120.000 Mann, 250 Schiffe und 1.000 Flugzeuge aus 14 Ländern, darunter Argentinien, Uruguay, Venezuela und Kolumbien neben den Nato -Staaten; ein Teil dieser Manöver bekämpfte „unseren Feind in der östlichen Karibik“, im Szenario hieß es, „Amber und die Amberines“ (Grenada and the Grenadines) seien zu erobern, um „amerikanische Geiseln zu befreien“, müsse man zur Invasion schreiten, „nachdem die Verhandlungen mit der Amber-Regierung abgebrochen worden sind“ (Assistant Secretary of Defense, „Ocean Venture '81“, news release, no.344-81, Washington, DC, 22.Juli 1981).

Die ökonomische Destabilisierung war fehlgeschlagen; die Propaganda griff nicht mehr so richtig (Bishop verhandelte recht erfolgreich mit den - zum größten Teil reaktionären karibischen Nachbarn); am 19.Juni 1980 hatten CIA-geleitete Attentäter versucht, die gesamte Führung der NJM in die Luft zu sprengen - die Bombe tötete drei junge Frauen und verletzte fast hundert Leute; Kontaktleute der CIA waren mit Hilfe von Phil Agee - einem ehemaligen Angehörigen dieser Agentur - rasch entlarvt worden; durch die massenhafte Beteiligung des Volkes an der Entscheidungsfindung (Budgetdiskussionen, Räte, Vollversammlungen etc.) wurde die „Revolution (sprich: revoluschon, fast wie „Revolu-schön“) innerhalb und außerhalb Grenadas immer attraktiver; eine Verfassungskommission war dabei, ein Grundgesetz auszuarbeiten, das sich völlig vom britischen Modell unterschied und die Demokratie partizipatorisch machte, zur Basis-, Räte-, „roots„-Demokratie: Grenada war zu einem „gefährlichen, ansteckenden Ding“ (US-Studie) geworden und so stabil, daß es dem US-Imperialismus unmöglich war, es anders als durch militärisches Eingreifen zu zerstören.

Während also das Volk Grenadas den Aufrechten Gang lernte, blieb die Partei (NJM) klandestin, klein gehalten, blieb unbekannt, wer ihr Mitglied, Führungsangehöriger, ZK -Mitglied war; Entscheidungen fielen intern, Diskussionen gerieten nicht an die Öffentlichkeit oder kaum; dafür mag es objektive Gründe geben: Untergrundtätigkeit im Kampf gegen ein repressives Regime, das Legalität unmöglich macht (Blanquisten im 19.Jahrhundert; Bolschewiki gegen den Zarismus; Föderation iberischer Anarchisten - FAI - gegen die Rivera-Diktatur, NJM unter Gairy etc.), aber es gibt auch und vor allem subjektive, ideologische. („Ideologie ist falsches Bewußtsein“, Marx.) Ideologische, also objektiv nicht notwendige, sind die der Kaderpolitik der Leninisten/Stalinisten, in deren Händen sich die „Diktatur des Proletariats“ in (ihre) Diktatur über das Proletariat verwandelt, in die Herrschaft der Nomenklatur über das gesamte Volk, in das System der „allgemeinen Staatssklaverei“ (Wittfogel/Dutschke).

Zwischen Oktober 1982 und August 1983 tauchten innerhalb der NJM und der Revolutionären Volksregierung Differenzen auf. Unbemerkt von den anderen hatte Finanzminister Coard Angehörige seiner leninistischen Organisation OREL in wichtige Machtpositionen innerhalb der Partei, des ZK, der Massenorganisationen, der Armee gehievt. Maurice Bishop und seinen Freunden scheint dies anfangs entgangen oder relativ gleichgültig zu sein. War das Land nicht klein? Kannte man sich nicht schon seit Kindesbeinen, vom Sandkasten an? Auf Coards Machtgelüste und den rigiden Charakter seiner Organisation hin angesprochen, winkte Maurice ab, vermittelte, nahm seinen alten Freund in Schutz. Im Oktober 1982 trat Ken Radix, einer der Gründungsmitglieder der NJM und nun Minister, aus dem ZK aus und warnte vor „falschem Linksradikalismus“. Vincent Noel (Gewerkschaftsführer) war 1981 aus dem ZK entfernt worden, Jacqueline Creft (Kultur/Erziehung) 1982, George Louison (Landwirtschaftsminister) 1983. Vertrat die (in die Minderheit geratene) Gruppe um Bishop die Position, daß bestimmte Entwicklungsprojekte verlangsamt, das Verhältnis zu den karibischen Nachbarländern verbessert, das zu den USA entkrampft, d.h. die Revolution in dem bestehenden Bündnis in echter Blockfreiheit - weitergeführt werden müßten, meinten die leninistischen Plattköpfe um Coard in ihrem schematischen Denken, daß die „nationaldemokratische Etappe durch die sozialistische abgelöst“ werden müsse. („Mit dreihundert gelernten Arbeitern im Lande?“ soll Maurice spöttisch gefragt haben.)

In jener Zeit begann der Druck auf Bishop, entweder zurückzutreten oder nur noch als Premierminister und „Verbindungsmann zwischen der Partei und den Massen“ zu arbeiten. Derweil sollte die NJM von Bernard Coard geleitet und neu organisiert werden. Im Klartext bedeutet dies, daß der immens populäre Maurice dem Volk den Stuß der Stalinisten verklickern sollte. Nach einer Bedenkpause lehnte er dies ab. Daraufhin wurde er, wie anders, „Kleinbürger und Opportunist“ genannt, ja es wurde unterstellt, er strebe, wie einst Gairy, eine Ein-Mann -Diktatur an (Erklärung der Putschisten, Radio „Free“ Grenada, 17.10.1983). „Sicher ist, daß vorgeblich revolutionäre Argumente benutzt wurden, die die reinsten Prinzipien des Marxismus-Leninismus beschworen und Bishop des Personenkults und der Abwendung von den leninistischen Leitungsnormen und -methoden beschuldigten. Nach unserer Beurteilung gibt es nichts Absurderes, als Bishop solche Tendenzen zuzuschreiben. Autoritarismus war niemals seine Sache; und wenn es etwas gibt, dessen man ihn als Fehler bezichtigen könnte, dann waren es seine übergroße Toleranz und sein übergroßes Vertrauen.“ (Fidel Castro, 14.11.1983)

Als der Mehrheitsfraktion um Coard im Oktober 1983 bekannt wurde, daß Maurice die Differenzen in der Partei öffentlich machen, dem Volk unterbreiten wollte, löste dies im ZK „große Bersorgnis aus“ (Putschist Hudson Austin, 16.10.1983). Man schloß Bishop aus der Partei aus und stellte ihn unter Hausarrest. Da ihm zu Ohren gekommen war, man wolle ihn vergiften, aß er während dieser Zeit nichts.

Am Vormittag des 19.Oktober gab es in St.George's eine der größten Demonstrationen, die je auf Grenada stattgefunden haben; etwa ein Drittel der wahlfähigen Bevölkerung war zusammengeströmt, um Näheres über Maurices Verbleib zu erfahren, um ihn zu befreien. „Dies war nicht die größte, aber bei weitem schönste, lebendigste Demo, die ich je in meinem Leben gesehen habe“, Regina Fuchs, Augenzeugin, deutsche Ärztin in St.George's. Maurice Bishop, nachdem man ihn aus dem Haus befreit hatte, angesichts der tanzenden, lachenden, jubelnden Menge, erschüttert: „The masses... the masses...!“

Man zog hoch zum Fort Rupert (nach Maurice ermordetem Vater benannt), um die Lage zu diskutieren und per Telefon und Radio mit der Bevölkerung des Landes und dem Ausland zu kommunizieren. Die Soldaten dort „ergaben sich kampflos“, d.h. sie liefen über.

Darauf starteten vom Hause Coards aus („Maurice, we'll get you whereever you'll go“, eine Stunde zuvor „Mobilisationsminister“ Strachan) die einzigen gepanzerten Truppentransporter des Landes mit schweren Waffen, fuhren zum Fort hoch und feuerten auf die Menge. Von Coards marxistisch-leninistischer OREL-Gruppe geschulte Angehörige der „Volksarmee“ schossen auf das Volk und erlebten damit ihre wahre leninistische Feuertaufe, wie andere „Volksarmisten“ zuvor: Kronstadt 1921, Budapest 1956, Berlin und Leipzig 1953, Prag 1968...

Bishop forderte - nachdem anfangs (etwas) zurückgeschossen worden war - seine Freunde und Anhänger auf, das Feuer nicht zu erwidern. Er wollte den Bruderkrieg vermeiden, unter allen Umständen (er sollte nur noch wenige Minuten haben, zu erkennen, daß das Mörderpack nicht - mehr - aus „brothers and sisters“ bestand).

Ein Kommando der Putschisten mit einer Namensliste forderte ihn, drei Minister und zwei Gewerkschaftsführer auf, mit erhobenen Händen herauszukommen. Es stellte Maurice Bishop, Jackie Creft (die schwanger war und, zumindest, um Schonung für das Ungeborene bat), Unison Whiteman, Vincent Noel und Fitzroy Bain an die Wand und erschoß sie. Dann ging man dazu über, etwa weitere 160 Personen zu ermorden. Die verantwortlichen Offiziere wurden am 20.Oktober vom Massenmobilisationsminister Strachan mit einem Orden ausgezeichnet; den meisten Soldaten der PRA wurde der Tod von Maurice nicht mitgeteilt: sie hätten unloyal werden können.

In den Tagen und Wochen zuvor hatten die Putschisten einen Teil der Miliz entwaffnet und ihnen ergebenen Soldaten und Offizieren den Sold erhöht.

Die Konterrevolution begann mit der Schaffung einer klandestinen ML-Gruppe innerhalb der linken Sammlungsbewegung JEWEL; sie wurde mit der Umstrukturierung dieser Bewegung fortgesetzt, mit dem Verschweigen der Wahrheit, mit dem Für-blöd-verkaufen der Massen, und die Konterrevolution erreichte mit dem Massaker den Gipfel. Die andere Seite der Konterrevolution: Die US-amerikanische Invasion. (Eleganter arbeiten die deutschen Sozialdemokraten: Sie hoben in Bad Godesberg einen Homunkulus aus der Taufe, nährten, fütterten, finanzierten ihr Balg, die Sozialdemokratische Partei Portugals, um die Revolution von 1974 kaputtzukriegen.)

Wie in Spanien während des Bürgerkriegs wurde ein revolutionärer Prozeß von zwei Feinden stranguliert: von den Stalinisten und den Faschisten. Bernard Coard und Selwyn Strachan, hier, und Reagan und (die von der CIA nachweislich - Watergate-Reporter Woodward - bestochene Marionette, die Premierministerin von Dominica) Eugene Charles, dort, repräsentierten diese Allianz.

Eine Flamme der Hoffnung für die Völker in der Karibik scheint ausgetreten zu sein. Grenada - 1982 von der Weltbank in ihrem Report gerühmt als das Land mit der höchsten Wachstumsrate der westlichen Welt - ist in die Steinzeit neokolonialen Kapitalismus zurückgebombt und heute ebenso bankrott und kaputt wie, beispielsweise, Jamaica: die Arbeitslosigkeit beläuft sich auf etwa 40 Prozent (wie vor der Revolution), die Kooperativen sind geschlossen, die Diversifikation der Exportgüter wurde beendet und, wie überall, wo Yankeesoldaten hinkommen, um Kultur zu verbreiten: Korruption, Gewaltverbrechen, harte Drogen, harte Prostitution. Zur Zeit (Februar 1989) schafft das Marionettenregime Blaize den bezahlten Mutterschaftsurlaub ab, den die Revolutionäre Volksregierung vor Jahren eingeführt hatte.

Außenminister Schultz, nachdem die Insel gerade „erobert“ worden und er an Land gegangen war: „Ich habe schon auf den ersten Blick gesehen, daß diese Insel ein ausgezeichnetes Immobiliengeschäft werden kann.“

Reagan und Schultz kann kein Vorwurf gemacht werden. Sie taten, was ihres Amtes: Imperialismus.

Vorwürfe müssen uns, der Neuen Linken, gemacht werden: daß (auch) wir Leninisten und Stalinisten hervorgebracht haben, geduldet haben, daß wir mit ihnen geredet, gemauschelt, verhandelt haben. „Küßt die Stalinisten, wo ihr sie trefft!“ (frei nach Tucholsky)

„Aus den eigenen revolutionären Reihen traten Hyänen hervor“, so Fidel Castro bei dem Trauerakt zu Ehren der in Grenada gefallenen Kubaner. Und hier muß ich sagen, daß ich die Handlungsweise, die selbstlose Solidarität, die Politik der Nichteinmischung der Kubaner in Grenada und Nicaragua vorbildlich gefunden habe; es gibt nach meinen Erfahrungen in diesen Ländern nichts, das darauf hindeutet, daß Castro dort Kopien seines Regimes sehen möchte. Vielleicht aufgrund seiner eigenen schlechten Erfahrungen mit sich, mit der Sowjetunion, mit seiner Isolation. Relativ gelassen nehmen und nahmen sie sogar ihr Unpopularität hin: Sie gelten (lacht nicht, deutsche Genossen!) als „Preußen der Karibik“, d.h. in den 30 Jahren der Revolution wurde ihnen die protestantische Arbeitsethik eingebimst (zumindest den Kadern, die im Ausland arbeiten).

Wir waren, wie Maurice Bishop, von zu „übergroßer Toleranz“ und hatten sein „übergroßes Vertrauen“ (Fidel). Die New -Jewel-Movement gebar „Hyänen„; und die Neue Linke (so sie so neu war) in West-Berlin und Westdeutschland nach 1968 ebenso. Wir haben sie erleben dürfen, die selbsternannten „Führer des Proletariats“ in KPD/AO und -ML, die verhinderten Massenmörder mit Genickschußphantasien, die auf Demonstrationen nach '69 in den Straßen schrien: „Kommunisten und Polizisten / gegen Anarchisten!“ (Black -Power-Solidaritätsdemonstration, West-Berlin 1970) oder: „Es gibt noch immer mehr Eispickel als Trotzkisten!“ Und wir haben nicht klargemacht - bis auf eine winzige Minderheit -, daß wir mit denen, die im Namen des Sozialismus den Sozialismus ermorden, nichts, aber auch gar nichts gemein haben.

Wie es weitergeht auf Grenada?

Die wenigen überlebenden Antiautoritäten und aufrechten Sozialisten der New-Jewel-Movement gründeten die „Patriotische Bewegung Maurice Bishop“ und arbeiten weiter.

Die Yanks und ihre Quislinge taten und tun, was ihre Sache ist: Emanzipation und Aufrechten Gang vernichten, zugrunde richten und die Erinnerung an sie tilgen: Das Buch Maurice Bishop speaks mit den gesammelten Reden des integersten und klügsten Ausdrucks der Revolution auf Grenada ist dort verboten, auf der Liste der verbotenen Bücher, „banned“.

Dem Gedächtnisverlust, der Amnesie - etwas entgegenzuwirken, ist Maß und Grund dieser Bemerkungen und der Artikel zuvor. Long Bay, Februar 198

P.P.Zahl: „Der Staat ist eine mündelsichere Kapitalanlage“, Karin Kramer Verlag, Berlin, 150 Seiten, 19,80 DM